Zwei Berlina uff na Parkbank

Lieber Leser, diese Geschichte ist eine Unterhaltung im Berliner
Dialekt. Um sie für alle Leser zugänglich zu schreiben, habe ich
versucht, auf solche typischen Ausdrücke, die anderswo vielleicht
nicht verstanden werden, zu verzichten. Ich hoffe, es ist mir gelungen.
Wenn nicht, schreibt Kritiken, dann kann ich gern Erklärungen in einem kleinen Anhang anfürgen.

Zwei Berlina uff na Parkbank

 ein Bild
 

 

Aribert zieht den Kopf aus der Mülltonne und lässt den Deckel fallen. Jeden Morgen macht er seine Runde um die Häuserblocks und sieht in die Mülltonnen. Die Mülltonnen bergen oft ungeahnte Schätze, sie können es mit jedem Supermarkt aufnehmen: Noch genießbare Lebensmittel, Pfandflaschen, alte Kissen und Decken, Zeitungen, alte Uhren, Vasen, Teller... Was essbar ist, steckt er in einen kleinen Beutel, andere brauchbare und unbrauchbare Dinge sammelt Aribert in seinem kleinen, muffigen Kellerzimmer.
Er sieht zum Himmel. Die pralle Sonne blendet ihn, es wird heiß werden. Blendesonne mag er nicht. Kein guter Tag für Mülltonnen. Die alten Lebensmittel werden schlecht und stinkig. Es macht keinen Spaß, die schweren Taschen zu tragen. Eine dicke Fliege stößt gegen seine verschwitzte Stirn. Er schlägt nach ihr. Im Davonfliegen scheint sie ihn auszulachen. Er hört es förmlich.

„Scheißfliegen!“ schimpft er. Fliegen mag Aribert auch nicht. Sie belästigten ihn ständig an den Mülltonnen. Er schlurft davon. Er muss schlurfen, denn sein linker Schuh ist mindestens zwei Nummern zu groß. Geht er zu schnell, läuft er aus dem Schuh heraus. Der rechte passt. Irgendwann wird er auch einen linken finden, der passt. Er geht zum Park. Immer geht er zur gleichen Bank. Immer, wenn es nicht regnet oder zu kalt ist.

Er inspiziert den Inhalt des einen schmutzigen Stoffbeutels: ein halbes Brot, zwei matschige Äpfel. In der Tasche: eine alte Fernsehzeitung, ein kleiner Kochtopf ohne Deckel, ein Holzkästchen, ein Bilderrahmen, eine Tasse mit einem Sprung.

Karola kommt den Weg entlang gelatscht. Sie hat ihre Schuhe vorn aufgeschnitten, damit sie nicht drücken. Um ihre Beine schlabbert ein langer, bunter Rock. Sie schiebt einen alten Kinderwagen vor sich her. Sie hat kein Zimmer, wie Aribert. Alles, was sie braucht, ist in dem Wagen. Karola stört es nicht, wenn die Sonne heiß blendet, sie freut sich, wenn es warm ist. Sie setzt sich neben Aribert und fischt zwei Dosen Bier aus dem Kinderwagen.

„Da, eins für mich, eins für dich. Was haste denn gefunden?“

Aribert gönnt ihr einen Blick in den Stoffbeutel.

“Nich viel heute. Hab keine Lust, zu heiß.“

Sie teilen sich das gefundene Brot, an dem noch kein bisschen Schimmel ist. Es ist sogar noch weich. Aribert kann es mühelos mit seinem großen Taschenmesser schneiden.

Aribert guckt in den Himmel, an dem schlaffe, unbewegliche Wolken hängen. Er kaut am Brot und nuckelt an der Bierdose.
„Was guckste denn?“ fragt Karola.
„Die Wolke da. Sieht aus, wie ne Hose“, er zeigt mit der dicken Brotscheibe auf eine ausgefranste, weiße Wolke.
„Hm? Vielleicht haben die Engel große Wäsche.“
„Hä, hä. Muss ja n ziemlich großer Engel sein. Denk mal, so ne Hose...“
Er stellt sich einen riesigen, tonnenschweren Engel vor, noch gewichtiger als die steinernen Grabengel auf dem Friedhof. Er stellt sich vor, wie lauter Riesenengel in dem Himmelsblau ihre überdimensionalen Schlüpfer waschen und da oben an unsichtbaren Himmelsleinen aufhängen. Irgendwo dazwischen sitzt Gott. Ganz alt und klapperig nach Millionen Jahren Himmelsregierung.

„Sind Bodyguards.“

„Ä? Biste besoffen?“

„Die passen auf Gott auf.“

„Denke, auf uns?“

„Quatsch. Wir passen auf uns selber auf. Aber Gott, denk mal, der ist doch uralt. Wenn dem was passiert, sind die Riesen da oben arbeitslos.“
„Was solln dem passieren?“
Aribert zuckt die Schultern.
„Runterfalln... vom Flugzeug angerempelt werden... gegen son Stern laufen... Is bestimmt schon kurzsichtig nach all den Millionen Jahren.“
„Kurzsichtig bestimmt. Bei der ganzen Scheiße hier unten. Würd er mal genau hingucken, hätt er längst abgedankt.“

„Wahrscheinlich hat er gar keine Lust mehr. Dem is doch nie was richtig gelungen.“
„Hm. Kannste laut sagn. Aber weißte, der is doch eigentlich n Geist, und Geister, die werdn ja nun nich kurzsichtig.“

„Gott is Gott. Is was andres als irgend n Geist. Was Besondres, nich? Hat ja auch n Sohn gehabt, und Geister, die kriegen doch keine Kinder.“

„Meinetwegen. Habs nich mit Gott und nich mit n  Geistern. Hab genug mit mir zu tun.“
„Was hast n du mit dir schon groß zu tun?“

Karola kratzt sich den Kopf, streicht das schulterlange, gelblichgraue Haar hinters Ohr.
„Müsste zum Beispiel mal n Kopf waschen.“

„Kommst nachher mit zu mir und wäscht dir eben die Haare. Hab sogar richtiges Shampoo.“
„Fein. Sag mal, hast noch Geld?“

„Nich viel. Wart mal.“

Aribert kramt in der Tasche seiner weiten, braunen Hose und holt ein paar Münzen hervor. Seine Banknachbarin zählt beim Hinschauen mit.

„Na, besser wie nichts. Holste uns nochn Bier? Hab dir auch was mitgebracht.“

Aribert brummt was Unverständliches und schlurft zum Kiosk am Parkeingang. Karola lehnt sich zurück und blinzelt in den Himmel. Die Hosenwolke franst langsam aus, teilt sich in lauter kleine Wolken. Der quatscht bloß Scheiße, der Ari, denkt sie, aber er is son lieber Kerl. Sie freut sich schon auf die Haarwäsche und darauf, wie sie es sich abends gemütlich machen werden in Ariberts kleiner Bude.

Aribert kommt zurück und lässt sich auf die Bank plumpsen. Karola kramt in ihrem Kinderwagen und holt eine Dose mit Zigaretten und Zigarettenkippen hervor.
„Von den Bushaltestellen“, sagt sie. „Wenn der Bus kommt, werfen die Leute die Lullen manchmal schon nach zwei Zügen weg. Manchmal fallen ganze aus ner Packung. Na ja, und manchmal schlauch ich auch welche.“

Genüsslich pafft sie mit halbgeschlossenen Augen gegen die gelbe Sonne. Derweil blättert Aribert in der gefundenen Fernsehzeitung.
„Die englische Königin hat Geburtstag“, sagt er und zeigt auf einen buntbebilderten Artikel.

„Is doch längst vorbei. Die Zeitung is uralt.“

„Na und? Dafür umsonst. König sein is auch nich schlecht.“

„Ähh! Das ganze Volk guckt dir ins Schlafzimmer. Nie haste Ruhe, kein Privatleben, immer Presse und Fernsehen und so.“

„Bei so m Schlafzimmer würd ich gern alle gucken lassen. So n König muss nich viel machen und hat die dicke Kohle, n Schloss, Reisen und alles.“

„Ach, und die ganzen Empfänge und so?“ meint Karola. „Immer fein rausgeputzt sein. Immer muss er machen, was ihm vorgeschrieben wird von dem Protokoll. So, wie wir hier, auf ner Bank sitzen und Bier trinken und von Engeln quatschen kann der nich.“

„Nee, Bier trinkt der nich. Der trinkt Schampanja.“

„Na, und denn sind um den auch immer so ne Boddidingsda rum. Is nie alleine. Bestimmt noch nich mal auf m Klo.“

„Quark. Aufs Klo geht der alleine.“

„Woher willstn das nu wissen?“

„Is mir ja auch egal. Jedenfalls, gut hat er’s.

Eine Kindergartengruppe kommt vorbei. Die Kinder rennen kreischend den Weg entlang, schubsen und springen.

„Die Kinder jetzt sind furchtbar. Machen bloß Mist und Krach“, nuschelt Karola.

„Wir habn auch Krach gemacht.“

„Aber nich so. Und wenn se größer werden, fangn se an zu klauen und nehmen Rauschgift, und was weiß ich noch alles.“

„Doch nich alle. Gibt immer so ne und solche.“

„Aber ganz viele. Steht immer in der Zeitung. Und wenn ich am Bahnhof bin, da schnorren die rum. Nehm n uns die besten Plätze weg. Und frech sind die...“

„Was gehst n da auch hin? Bahnhof is sowieso fies. Alles Fixer und Penner. Wenn ich König wär, gäbs das nich.“

„Ach, und wo willste die hinmachen? Und überhaupt, du und König!“

„Ich würde ganz viele Häuser bauen, für jeden ne Wohnung, und die Jungchn würd ich arbeiten schicken.“

„Und was  noch alles?“

Karola hört gerne zu, wenn Aribert spinnt. Man kann dabei so schön das ganze schäbige Leben vergessen.

„Allen das gleiche Geld geben, egal, was sie machen. Und ganz billige Läden, das sich jeder genug kaufen kann. Nich so den ganzen Mist, den keiner braucht, dafür alles billig.“

Karola zieht die abgeschnittenen Schuhe aus und streckt die schmutzigen Füße aus.

„Wird ne schöne, warme Nacht. Richtiges Wetter für Platte.“

„Bleibste im Park?“

„Hm, wenn ich mir bei dir den Kopf gewaschen hab. Is so schön ruhig dann, kann man die Sterne ansehen... “

„Kannst aber auch bei mir pennen. Hab noch so n paar Reste da. Rotwein. Ob auf den Sternen welche drauf sind, die runter gucken?“

„Vielleicht deine dicken Engel? Nein, glaub ich nich.“

„Wieso nich? Wenn wir hier sind, können woanders auch welche sein.“

„Die sind denn aber ganz anders. Sehen anders aus.“

„Is doch egal. Würde gerne mal einen sehen. Hab mal was über Ufos gelesen, von welchen, die sie gesehen haben, die Ufos.“

„Glaub ich auch nich. Die spinnen bloß. Wolln sich wichtig machen oder habn ne Macke.“

„Nein. Stand doch in der Zeitung.“

„Da steht sowieso nur Mist drin. Du glaubst auch jeden Scheiß.“

„Was die wohl essen? Da wächst doch nichts. Auf m Mond sind bloß Steine.“

„Na, siehste. Und wie solln da welche leben?“

„Vielleicht essen die Steine. Oder Sand. Oder die brauchen gar nicht essen.“

„Ohne zu essen kann keiner leben.“

„Vielleicht essen sie sich gegenseitig auf. Gibt doch auch Kannibalen auf der Erde.“

„Ihhh! Jetzt wirste eklig.“

„Da wächst bestimmt was auf den Sternen. Wissen wir bloß nich. War schließlich noch keiner da.“

„Aber auf dem Mond, da warn schon welche.“

„Ja, die Amis.“

„Die müssen ja überall hin.“

„In so m Raumschiff würd ich auch gerne mal fahren.“

„Die fahren nich, die fliegen. Wie n Flugzeug, bloß viel höher und weiter weg.“

„Fahren oder fliegen, is doch egal. Stell dir mal vor: Dann kommste auf so n Stern und da sind lauter Außerirdische. Grün und gelb und lila und blau.“

„Blau kannste hier auch sein.“

„Nein, richtig. Blaue Gesichter und Hände und so.“

„Hab ich im Winter auch.“

„Du hast keine Fantasie, Karola. An nichts glaubste. Der Mensch muss an was glauben und träumen.“

„Ach Scheiße. Ich glaube, was ich sehe. Basta.“

„Is langweilig. Was is n das fürn Leben? Was haste denn sonst? Bloß an Fressen, Saufen, Pennen denken? Nee, ich muss mir immer alles Mögliche vorstellen. Macht mir Spaß. Wenn du Geld hast, kannste verreisen, ins Kino gehen und so. Na, haste keins, dann kannste immer noch träumen. Kostet nichts. Die Schriftsteller und die Dichter und die, die Filme machen, die machen doch nichts andres: denken sich was aus und schreiben das hin oder drehen so n Film.“
„Kannste ja auch machen. Geschichten erzählste mir genug.“
„Ach, kann so was nich. War schon in der Schule nich gut mit Schreiben.“
Karola sagt nichts. Sie hat die faltigen Arme unter der schlaffen Brust verschränkt und ist eingeschlafen. Ihr Füße sind nach innen gekehrt. Die großen Zehen sehen sich an.
Aribert mustert die Zehen. Haben keine Ähnlichkeit die beiden Zehen, denkt er, außer, dass sie dreckig sind. Der eine ist dick und knubbelig, der Nagel ist schwarz und ganz schief. Der andere ist länger und hat eine kleine Beule. Aribert stellt sich vor, wie sich die Zehen unterhalten.

„Man, bist du dreckig“, sagt der eine.

„Selber dreckig“, antwortet der andere.

„Und? Kann ich was dafür? Kann ich mich vielleicht alleine waschen?“

„Nee, aber verstecken.“

„Du mit deiner hässlichen Beule. Verkriech dich mal selber.“

Er kichert leise vor sich hin. Die Kameradin neben ihm schnarcht leise. Ihre bläuliche Nase bläht sich. Aribert betrachtet sie. Er denkt, dass er besser dran ist, weil er  ein Zimmer hat, ein Waschbecken, ein Bett und all die zusammengefundenen Sachen. Er zieht die Schuhe aus. Nein, so dreckig sind seine Füße nicht. Nur die Hände. Na ja, kommt von den Mülltonnen. Das ist eben so. Aber Karola ist ein armes Schwein. Immer draußen und manchmal im Obdachlosenasyl oder auch mal bei ihm, immer mit dem ollen Kinderwagen mit ihren Klamotten unterwegs. Ja, er ist viel besser dran.

Die Sonne steht jetzt mitten am Himmel wie ein großer, gelber Butterklumpen und brennt ihnen die Nasen rot. Der Schweiß läuft ihm hinten ins zerschlissene Hemd.
Karolas schmutzige Füße kriegen bestimmt einen Sonnenbrand. Aribert
 wirft die Bierdose in die Büsche. Dann schläft er auch ein.

Was soll man sonst machen? Keiner zum Quatschen, die olle Sonne nervt und so ein Tag ist endlos lang.Er träumt, wie die großen, dicken Engel um die feurige Sonne tanzen. Sie schwitzen fürchterlich. Gott kommt aus seiner Ecke gekrochen. Ganz krumm geht er und ist wackelig auf den Beinen. Der machts nich mehr lange, denkt Aribert im Traum. Da zeigt Gott mit seinem knorrigen Finger genau auf ihn. Aribert macht sich ganz klein. Was soll das? Was hat er gemacht? Er klaut nicht, bettelt nur ganz selten. Warum zeigt der auf ihn? Soll auf andere zeigen.

 
Yvonne Habenicht,2004

                                          

 
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