Texte ohne andere Namensangabe
(c)Yvonne Habenicht
Bilder ohne andere Namensangabe
(c)Yvonne Habenicht
Die Sonne droht
Die Sonne droht
Wochenlang war der Himmel harmlos grau gewesen. Ab und zu wuschen Regenschauer die lästigen Pollen aus der Frühlingsluft. Man konnte atmen und musste nichts fürchten.
Doch eines Morgens, ganz unvorhergesehen durch Wetterbericht und Satelliten, stahl sich die Sonne zwischen dem gleichmäßigen beschaulichen Grau hindurch. Plötzlich war sie da. Hell, stechend, bedrohlich. Sie stach mit ihren gefährlichen Strahlen durch meine staubigen Fenster und zeigte mir all die bösen Baumblüten draußen, jede einzelne Polle.
Erschreckt ließ ich sofort wieder die Rollos herunter. Dann wurde mir bewusst, dass ich – Sonne oder nicht – gerade heute unbedingt das Haus verlassen musste. Eigentlich war ich ja krank geschrieben, weil ich doch so unter Heuschnupfen, Frühjahrsmüdigkeit und jahreszeitlich bedingten Kreislaufzusammenbrüchen litt. Aber ausgerechnet an diesem Tag mit Sonnenschein hatte ich nicht nur einen Arzttermin, sondern musste auch einkaufen gehen. Meine Salben-, Tinkturen-, Tabletten- und Tropfenvorräte waren fast aufgebraucht. Bekanntlich sind die Krankenkassen ja nicht bereit, einem alles zu bezahlen, was man so zu jeder Jahreszeit braucht. Und die Ärzte! Also, das wenige Zeugs, was die einem verschreiben, passt doch in den hohlen Zahn. Na ja, ein paar Lebensmittel brauchte ich auch noch.
Ich holte also einen superengen langärmeligen Pullover aus dem Schrank, enge Jeans und wadenhohe Stiefel, wickelte mir ein Tuch um den Hals und bis hinauf zur Nase und stülpte mir eine Kappe auf den Kopf. Schließlich sollten weder Pollen mit ihren bösartigen Allergenen noch krebserregende Sonnenstrahlen mich treffen. Das wenige, was von meiner Haut noch unter der sicheren Kleidung hervorsah, würde ich später mit einer antiallergischen Salbe dick bestreichen und auch gleich ein paar solche Augentropfen nehmen, denn bestimmt war meine Sonnenbrille kein ausreichender Schutz gegen die wild gewordene Natur. Meine Augen trieften schon jetzt.
So gerüstet verließ ich mein gut desinfiziertes Zuhause und wagte mich in die raue Welt. Der Arzt mutete mir natürlich mal wieder zu, fast eine Stunde zwischen all seinen übrigen kranken Patienten zu warten. Ich mochte mich noch so abseits in eine Ecke quetschen, die vielen Krankheitskeime schwirrten bestimmt in jedem Kubikmillimeter Luft im Wartezimmer. Weil ich über Augenbrennen klagte, schickte mich der Arzt mit einer Überweisung zum Augenarzt wieder aus der Praxis. Nicht mal ein Medikament hatte ich bekommen, und das, wo Pollen und Sonnenstrahlen Frontalangriffe starteten, denen ich mit meiner schwachen Kondition zu trotzen hatte. Wütend trabte ich zur Apotheke und deckte mich für eine horrende Summe mit dem Nötigsten ein. Die netten Damen in der Apotheke strahlen mich immer an. Die sind viel freundlicher als der Arzt. Und immer haben sie noch einen hilfreichen Ratschlag zur Hand, was es an weiteren und ganz neuen Mittelchen gerade gäbe.
Ich schwitzte erbärmlich unter meiner Schutzkleidung. Hoffentlich war das nicht ein beginnender Fieberschub. Mir gingen die letzten Fernsehberichte über Epidemien in aller Welt im Kopf herum. Schon spürte ich meine Beine schwach werden. Hoffentlich brach ich nicht mitten in der Hauptverkehrsstraße mit all ihrem Feinstaub zusammen.
Unter größter körperlicher Anstrengung erreichte ich den Öko-Markt, in dem ich immer meine Lebensmittel kaufe. Aufpassen muss man heutzutage auch da. Gerade gestern hatte ich im Fernsehen eine Sendung gesehen, wo gewarnt wurde, dass nicht überall Öko und Bio drin ist, wo es draufsteht. Ich erstand also ein paar Äpfel, von denen mir die Verkäuferin versicherte, dass sie hundertprozentig nicht chemisch behandelt wurden, fünf Bananen – die Schale ist ja so dick, dass bestimmt nichts durchdringt – und ein Dinkelbrot. Dann ließ ich meine Augen über die Eier wandern. Ja, die schienen allesamt von sehr glücklichen Hühnern zu kommen. Fehlte noch Öl. Rapsöl sollte ja ganz gesund sein. Aber war es richtig, den wenigen umweltbewussten Autofahrern ihren Kraftstoff wegzunehmen und ihn in der eigenen Pfanne zu verbraten und in den Salat zu schmeißen? Nein, lieber doch Olivenöl, das sollte ja Immunsystem und gesundheitliches Gleichgewicht fördern. Und dann noch ein ganz reines Wasser.
Anschließend trabte ich beladen in Richtung heimischer Straße. Natürlich schwitzte ich jetzt noch mehr, wegen der Einkäufe, die ich zu tragen hatte. Inzwischen war es Mittag, und ich hatte das Gefühl, die Sonne habe den Frühling längst hinter sich gelassen und den Hochsommer erreicht. Blüten flirrten durch die Luft. Pfui Teufel, all solches Zeug, was krank macht. Kleine Fliegen und ähnliches ekelhaftes Getier umtanzten mich. Wer weiß, was die so alles an sich haben und übertragen. Ihhh. Hunde hoben an Bäumen ihre schmutzigen Hinterbeine und steckten ihre Nasen in die Exkremente ihrer Artgenossen. Wie konnten Menschen bloß mit so unhygienischen Tieren zusammenleben, und das sogar überleben. Es ist mir immer ein Rätsel. Bestimmt sind sie alle todkrank und wissen es nur nicht.
Unkenntnis ist überhaupt das Gefährlichste für den Menschen. Ich lese jeden Artikel über neue Gesundheitserkenntnisse, neu entdeckte Krankheiten, Ärztefehler und Zukunftsgefahren, versäume keine Fernsehsendung über Seuchen, Immunschwächen, Krankenhausskandale und prozessierende Patienten. Ich weiß Bescheid. Ich weiß, wie ich mich schützen muss. Vor Bakterien, vor chemischem Dünger, vor Pollen und Sonnenstrahlen, vor Fein- und Grobstaub und ekligen Tieren.
Es lag bestimmt an der allgemeinen Schwäche, die mich nach all den Keimen beim Arzt und in der Frühlingsluft erfasst hatte, dem beginnenden Fieber mit heftigen Schweißausbrüchen, dass ich der Aufgabe, meine Einkäufe die vier Treppen hinauf zur Wohnung zu schleppen, nicht gewachsen war. Ich kam jedenfalls ins Straucheln und stürzte.
Jetzt liege ich mit einem komplizierten Knöchelbruch im Krankenhaus. Das ist bestimmt meine letzte Station. Ich weiß Bescheid, die meisten resistenten Keime sind in den Krankenhäusern zu Hause. Bestimmt wurde ich auch falsch behandelt, denn mein Fuß schmerzt immer noch, obwohl ich gestern operiert wurde. Wahrscheinlich müssen sie mir nun anschließend das Bein amputieren.
Die Ernährung hier ist auch unter aller Sau. Die wissen nicht mal, ob ihre Äpfel Bioäpfel sind und woher die Rühreier auf dem Mittagsteller kommen. Das Brot ist bestimmt auch voller Chemie. Und erst diese ominösen Pillen und Tropfen. Da sieht man nicht mal den Beipackzettel. Und was ist mit den Nebenwirkungen? Jetzt krieg ich Bauchschmerzen. Bestimmt ein Darmdurchbruch infolge der schlechten Ernährung und der schädlichen Medikamente.
Ade, verseuchte Welt, ich mach es bestimmt nicht mehr lange.