Texte ohne andere Namensangabe
(c)Yvonne Habenicht
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Endlich reich!
Endlich reich!
Juhu! Ich werde reich, und ganz ohne mein Zutun. Nun, jedenfalls mit wenig Zutun. Ich hab nur ein paar Internet-Gewinnseiten durchprobiert und mich da eingetragen. Natürlich ausschließlich die kostenlosen Aktionen. Bin doch nicht so blöd wie die Lottospieler und schmeiß dauernd Geld raus, wenn ich sowieso nix dafür kriege.
Aber heute geht es los. Gestern waren auch schon ein paar solche Mails in meinem Postfach. Heute jedoch dreht sich mir richtig der Kopf. Hier bin ich unter den Auserwählten, denen der neue Fernseher winkt. Da steht mir ein Auto ins Haus, dort eine Urlaubsreise, in der nächsten und übernächsten Mail sogar beachtliche Geldgewinne.
Ich weiß mein Glück kaum zu fassen. Wieso gehen die Leute eigentlich noch arbeiten und drehen ihre Cents um, wenn es so einfach ist, das große Glück zu gewinnen? Mein Herz schlägt vor Aufregung hoch im Hals, ja, fast schon im Kopf. Freudig erregt gehe ich auf die Links, die mir da offeriert werden. Auch hier ist nicht viel zu tun. Ich muss einfach nur wieder was anklicken, damit es weitergeht und ich auch bestätige, dass ich bereit bin, mein Glück, zu den wenigen Auserwählten zu gehören, beim Schopfe zu packen. Klasse. Und schon sagt mir mein Mailmelder neue Posteingänge.
Ich kann‘s kaum fassen. Wieder bin ich überall einer der Glücklichen, die nur noch einen ganz kleinen Schritt, hier ein Häkchen, dort ein Klick, machen müssen. Nicht nur das, es kommen massenhaft Angebote für Superschnäppchen und für weitere viel versprechende Gewinnspiele. Na, ist doch keine Frage, da bin ich gleich dabei.
Nicht genug des Glücks. Das Telefon reißt mich aus meinen rosigen Zukunftsträumen. Eine nette Dame erinnert mich, dass ich doch am Spiel X teilgenommen habe und zu den glücklichen Gewinnern gehöre. Nicht zu fassen. Und da rufen die mich sogar extra gleich an. Geht ja auch schneller als Schreiben. Mails, na ja, die wissen doch nicht, wie oft die Leute da hineinschauen. Begeistert sage ich ihr, dass ich natürlich überglücklich bin, zu den Gewinnern zu gehören. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ist nämlich ein tolles Fotohandy, hab ich schon lange mit geliebäugelt. Ich sage der netten Telefonistin auch noch, wie prima ich es finde, dass mich die Firma extra angerufen hat. Sie hat dann nur noch eine Bitte. Damit ich den Gewinn auch bekomme, möge ich doch bitte das Norddeutsche Käseblatt abonnieren.
Nun liegt mir an dieser Zeitung rein gar nichts. Aber natürlich wollen die auch ein bisschen Entgegenkommen sehen für ihre Mühe. Klar, ich mache das mit dem Käseblatt. Kaum wenige Minuten später ruft mich ein Herr an und hält mir den nächsten Gewinn unter die Nase, die ich schon so hoch trage, dass sie fast bis zur Zimmerdecke reicht. Oh, einen Gutschein für ein großes Möbelhaus. Hm, da könnte ich mir ja gleich den neuen Beistelltisch kaufen, den ich schon lang haben möchte. Oder eine trendige Stehlampe, oder ... Wieder sage ich tausend Dank für das unerwartete Glück und die Freundlichkeit des sofortigen Anrufs. Kein Problem, dass ich noch TV prima abonnieren soll. Eine Fernsehzeitung braucht man doch immer.
Im Laufe des Nachmittags klingelt das Telefon fast ohne Unterlass. Fast überall habe ich was gewonnen. Bei manchen Sachen sage ich nun schon „nein, danke“. Zum Beispiel bei dem Bio-Hundefutter, denn schließlich habe ich zwei Schlangen und keinen Hund.
Am kommenden Tag hält meine Glückssträhne weiter an. Wieder ist mein Mailfach bis oben voll mit Supergewinnen oder Möglichkeiten, auf schnellste Art dazu zu kommen. Ich mache natürlich alles, klicke mich wie ein Wahnsinniger durch zig Seiten wunderschöner Gewinn-Offenbarungen.
Wieder frage ich mich, wie blöd doch die Leute sind mit dem ganzen Krisengejammer, wenn man mit solcher Leichtigkeit alle Träume erfüllen kann. Sogar die, die man gar nicht hatte. Einen Rasenmäher brauche ich nun wirklich nicht für meinen Kunstrasen auf dem Balkon. Auch den Besuch in Disney-Land kann ich ruhig ausschlagen. Weder habe ich Kinder noch empfinde sonderliche Sympathie für überlebensgroße Micky-Mäuse. Aber immerhin, ich bin überall ganz, ganz dicht vor dem großen Gewinn. Und spricht es nicht für besonders großes Glück, wenn man sogar zu einem Teil davon lässig nein sagen kann? Genau da fängt nämlich Luxus an.
Ich fühle mich jetzt schon reich. Einer, der es sich leisten kann, die dicksten Rosinen aus dem Glückskuchen zu picken. Woher, überlege ich, nehmen eigentlich all die Firmen mitten in der Finanzkrise diese immensen Gewinne? Dann sage ich mir, dass sie bestimmt damit entweder Kunden gewinnen wollen oder schnell Gelder an den Mann bringen, bevor das Finanzamt zupackt. Die sollen jetzt ja besonders kleinlich sein. Also werden sich diese Leute wohl sagen: Tun wir lieber etwas Gutes mit dem überschüssigen Profit, ehe der Fiskus alles einstreicht.
Lange kann ich nicht nachdenken, denn wieder geht das Telefon fast ohne Unterlass. Zwischendurch muss ich immer neue Mails abrufen, bestätigen und bei neuen Spielen mitmachen. Ganz schön stressig, so viel Glück zu haben, stelle ich bei mir fest. Im Vergleich zum täglichen Schuften für einen Hungerlohn aber doch lohnende Mühe.
Schon überlege ich, wie ich all die überschüssigen Fernseher, Handys, Reisegutscheine und das Zweitauto gut verkaufen kann. Heute will jeder Schnäppchen machen. Die Sachen sind schließlich neu, da werde ich auch bei Billigangeboten noch ein gutes Sümmchen herausschlagen. Ich schwebe wie auf Wolken, aus denen mich nur regelmäßig das Telefon reißt. Kaum komme ich noch dazu, mir einen Kaffee zu bereiten, so unaufhörlich fallen mir die telefonisch angekündigten Gewinne ins Haus.
Am Abend leiste ich mir schon mal auf all das Glück von meinem vorletzten Geld eine Flasche Champagner aus einem Edelladen. Der erste Champagner meines Lebens. Aber es ist ja auch das erste Mal, dass ich ein solches Glück zu feiern habe.
In der Folgezeit beginne ich die voreilige Ausgabe allerdings zu bereuen. Es zieht sich etwas hin mit den Gewinnen. Stattdessen reicht mein Briefkasten nicht mehr für die Zeitungsfluten aus, die mir ins Haus flattern. Hab gar nicht mitbekommen, dass es so viele waren. Na, macht nichts, die kann ich nächstes Jahr ja alle abbestellen. Ach je, richtig, den Stromanbieter habe ich auch gewechselt, und mein alter war viel günstiger. Macht aber nichts, bald kommen ja die dicken Gewinne.
Die Tage, die Wochen, die Monate vergehen. Inzwischen habe ich nicht nur Berge von Journalen und Tageszeitungen, sondern bin auch Mitglied eines Buchclubs, einer Gewinnspielseite mit regelmäßigen Monatsbeiträgen, eines DVD-Verleihs, der ebenfalls kostet, und mehr. Langsam werde ich unruhig, denn mein Konto duckt sich schon mächtig unter der Last von neuen Beiträgen, zugesagter Käufe und Abonnements. Um nicht in die Schuldenfalle zu tappen, nehme ich noch für die Abende einen Nebenjob an. Ist ja nur für kurze Zeit, eben, bis die Gewinne kommen.
Dann jedoch werde ich zunehmend unruhiger. Bei den Anrufern kann ich nicht zurückfragen, die waren anonym. Als ich auf den betreffenden Internetseiten nachfrage, werde ich auf das Kleingedruckte verwiesen. Mein Gesicht wird lang und länger. Überall ist zu lesen, dass ich gar kein Gewinner bin. Klar, einer der wenigen Auserwählten, aber andere haben gewonnen, wenn überhaupt jemand. Ich überlege, ob ich zu meinem Rechtsanwalt gehe, wegen all der Abos und Verträge und Mitgliedschaften. Allerdings muss ich feststellen, dass ich überall schon die Widerspruchsfrist überschritten habe. Nichts zu machen, da muss ich nun für die nächsten Monate durch.
Gut, ich bin ein wenig schlauer geworden, hab wieder mal gesehen, wie schlecht die Welt doch im Grunde ist. Aber immer positiv denken. Werde ich halt noch einen Nebenjob am Wochenende annehmen, und im nächsten Jahr ist schließlich der ganze Spuk mit den Verträgen vorbei.