Das Fischgericht




Das Fischgericht


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Sie haben sich seit über fünf Jahren nicht gesehen. Nun ist Timo zufällig in der Stadt und hat den alten Freund angerufen. Der war hoch erfreut und lud ihn gleich zum nächsten Tag zum Essen ein.

„Großartig, dass du mich mal besuchen kommst in meiner Junggesellenbude!“

Sebastian führt den Freund ins Wohnzimmer, wo bereits der Tisch gedeckt ist.

„Du bist also noch immer nicht verheiratet? Na, hat bestimmt auch sein Gutes.“

„Richtig. Wie du aber weißt, habe ich schon früher gern gekocht. Heute ist Freitag. Es gibt Schollenfilet mit grünen Bohnen und neuen Kartoffeln. Die Schollen sind jetzt am besten. Einen Martini vorweg?“

„Danke, gern. Aber... hatte ich nicht am Telefon gesagt, dass ich Vegetarier bin?“

„Ja, hast du. Gibt ja auch kein Fleisch.“

„Fisch ist genauso. Tut mir leid, Sebastian, aber ich esse keine Tiere, die meinetwegen ihr Leben lassen mussten.“

„Na, der Fisch hat doch nicht gewusst, dass du ihn vorgesetzt bekommst. Der Fischer auch nicht. Reiner Zufall, dass der Fisch gerade auf meinem Tisch gelandet ist. Er hat also nicht deinetwegen sein Leben gelassen. Er war schon tot, als du hier angerufen hast.“

„Trotzdem. Ich esse nun mal keine Tiere, überhaupt nicht. Es spielt auch keine Rolle, ob ein Fisch für mich gefangen wurde. Er wurde getötet, um gegessen zu werden, und ich bin dagegen.“

„Also, ich dachte, bei Fischen hast du nicht solche Probleme. Keine langen Tiertransporte, keine Massentierhaltung, kein Hormonfutter, kein BSE... “

„Es sind aber auch Lebewesen, und sie haben ein Recht auf Leben. Es ist nicht in Ordnung, wenn sie auf unseren Tellern landen.“

„Wenn niemand Fisch isst, werden die Fischer arbeitslos. Nicht nur die Fischer, eine ganze Industrie geht zu Grunde und viele Geschäfte auch, und die Verkäufer... “

„Aber, wenn alle Fisch essen und immer mehr gefangen wird, dann gibt es bald keine Fische mehr.“

„So ein Quatsch, Timo. Dann müssten sie doch längst ausgestorben sein. Die Menschen essen seit jeher Fisch.“

„Aber heute wird massenhaft gefischt, industriell. Das ist es doch. Die Fischgründe werden immer magerer.“

„Ach, blabla. Bisher sind sie noch nicht ausgegangen. Und die Scholle ist auch keine geschützte Tierart. Die wird sogar extra gezüchtet.“

„Siehst du, genau das ist es! Gezüchtet! Da müssen eigens Tiere aufgezogen werden, damit sie hier auf den Tellern landen. Nein danke.“

„Die Fische wissen das ja nicht. Und dann denke doch mal an die richtigen, wilden Fische, die einfach so im Meer, in den Flüssen und Seen herumschwimmen. Wenn die nicht gefangen werden, haben sie auch keine Garantie für ein langes Leben. Dann werden sie von anderen Tieren gefressen.“

„Aber nicht in solchen Massen. Nimm mal einen Bären: Der fängt nur so viele Fische, wie er fressen will.“

„Ja, und sucht sich dabei gleich die edlen Lachse aus. Das ich nicht lache. Stell dir vor, wir sollten alle losziehen und uns selber Fische fangen.“

„Dann würde auch jeder nur so viele fangen, wie er essen kann. So haben es die Menschen früher gemacht, auch bei der Jagd, und darum war die Natur im Gleichgewicht.“

„Jetzt gibt es aber viel mehr Menschen. Und nicht nur das. Sie können schnell überall hin. Mit dem Auto, mit dem Flugzeug, dem Schiff oder der Bahn. Sie bevölkern sowieso schon alle Strände und Landschaften. Wenn sie sich auch noch ihr Essen fangen sollten, würden sie sich an den Gewässern tottreten, alles kurz und klein trampeln, überall noch mehr Dreck herumschmeißen und die Luft noch mehr mit Abgasen verdrecken.“

„Unsinn. Sie würden, so wie ich eben keinen Fisch mehr essen, denn die paar gefangenen Fische stünden in keinem Verhältnis zur Anreise bei den Benzinpreisen. Würdest du zum Beispiel wegen deines Freitagsfischs gern ein paar Stunden im Stau stehen? Wahrscheinlich würde der Fisch schon stinken, bis du ihn zu Hause hättest.“

„Ich würde gar nicht im Stau stehen. Ich würde mit dem Fahrrad hier an den See fahren und angeln. Das machen übrigens viele. Mir ist es bloß zu langweilig. Außerdem lässt mir mein Job dafür gar keine Zeit.“

„Siehst du, dann müsstest du eben doch auf den Fisch verzichten, weil du nämlich zum Angeln keine Zeit hast. Also, so ginge es ganz vielen Menschen. Stell dir vor, wie viele Fische einem sinnlosen Tod entgingen. Das gilt übrigens für die ganze vermaledeite Schlachterei und Jägerei. Kämen die Leute nicht so bequem an das Fleisch und den Fisch, dann würden sie es eben nicht essen.“

„Der normale Mensch braucht das aber. Der Mensch ist von Natur nun mal kein reiner Pflanzenfresser. Schon unsere Urahnen sind auf die Jagd gegangen.“

„Das mussten die tun, weil sie noch keinen Ackerbau hatten, um genug Getreide und Gemüse anzubauen. Wäre genug da gewesen, so wie heute, meinst du, die wären so blöd gewesen, sich bei der Jagd den Gefahren durch die wilden Tiere auszusetzen?“

„Das werden wir jetzt kaum noch aufklären können. Sie sind alle tot, man kann sie nicht mehr fragen. Ich dachte nicht, dass du immer noch so verbohrt bist. Aber so warst du früher schon, wenn du dir etwas in Kopf gesetzt hast. Lassen wir das. Du hast hoffentlich nichts dagegen, dass ich meinen Fisch esse. Ich schaffe auch vier Filets.“

„Man sieht ja wo’s bleibt“, kontert Timo mit einem kritischen Blick auf die gut gerundete Mitte des alten Freundes.

„Du bräuchtest auch was zum Zusetzen, wenn du meinen nervigen Job hättest.“

„Auch so was. Da brauchen Menschen angeblich ungesunde Nahrung, um sich krumm schuften zu müssen, damit sie noch mehr ungesunde Nahrung kaufen können.“

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Schließlich arbeite ich nicht bloß fürs Essen. Ich hab mir auch sonst eine Menge geleistet.“

„Ja, schon gut. Warst schon in der Schule ein Streber. Ich für meinen Teil, halte es mit der Arbeit, wie mit dem Essen. Ich arbeite so viel, wie ich muss, und ich esse nur so viel, wie ich brauche. Ich mach mir keinen Stress und habe deshalb auch nicht die billige Ausrede, dass ich deshalb Fisch und Fleisch essen muss.“

„Was isst du denn nun so?“

„Gemüse eben, Obst, Müsli, Sojaprodukte, Salat... “

„Da müssen aber dann auch arme Pflanzen für dich ihr Leben lassen.“

„Das ist doch nun wirklich was anderes.“

„Ach nee! Timo, ich sag’s dir, du bist nicht konsequent. Leben Pflanzen? Ja oder nein?“

„Natürlich, aber... “

„Nix aber! Sie leben und werden für dich, Timo Schneider, abgeschnitten, abgemäht, ausgerissen, zerstückelt. Sie werden auch extra gezüchtet, wie meine Schollen da in der Küche. Werden auch industriell angebaut, geerntet und vermarktet. Oder gehst du in den Wald und holst dir wilde Beeren und Wurzelkram?“

„Also, gegen diese ganze industrielle Landwirtschaft bin ich ja auch. Klar, mit der Massenproduktion wird der Boden auf die Dauer kaputt gemacht, die Umwelt wird zerstört, Raubbau an den Energiereserven betrieben und  mehr. Am Ende gibt es noch die ganze Überproduktion und Vernichtung von Obst und Gemüse.“

„Siehst du, siehst du! Und warum? Weil die Leute so ein Riesenangebot wollen. Und wenn keiner mehr Fleisch und Fisch isst – also mit Fleisch habe ich heutzutage ja auch meine Probleme – dann muss noch mehr angebaut und vermarktet werden. Du förderst indirekt die landwirtschaftliche Großproduktion.“

„Ist ja nicht wahr! Ich esse nur Lebensmittel aus ökologischem, biologischem Anbau!“

„Fein. Ich sehe da auch drauf. Aber kann das Otto Normalverbraucher? Dafür sind die Sachen zu teuer, und außerdem, es gibt gar nicht genug davon. Wenn man die ganze Landwirtschaft umrüsten würde, dann würde es wieder nicht für ein ganzes Volk von Vegetariern reichen. Ihr habt also nur genug zu essen von den guten Ökosachen, weil es noch Leute gibt, die Fleisch und Fisch essen, statt dass sich alle um ein paar Biokohlköpfe prügeln.“

„Du treibst alles auf die Spitze, Sebastian! Mit dir kann man nicht diskutieren. Nein, es liefe darauf hinaus, dass es keine Überproduktion gäbe, keine Vernichtung von Lebensmitteln! Außerdem essen heute die meisten Leute sowieso zu viel.“

„Was du nicht sagst! Sieh dich mal in der Tierwelt um! Guck dir mal die reinen Pflanzenfresser alle an, vom Karnickel bis zum Eichhörnchen: Die sind pausenlos am Fressen, damit sie satt werden. Wir kämen vor lauter Essen gar nicht mehr zum Arbeiten!“

„Blödsinn. Es gibt ganze Volksgruppen, die vegetarisch leben und die arbeiten auch. Ich muss auch nicht pausenlos essen.“

„Außerdem frisst du den Tieren ihr Grünfutter weg. Damit entziehst du ihnen indirekt die Lebensgrundlage.“

„Sebastian, war das heute dein erster Martini?“

„Allerdings. Und den gibt’s auch nur dir zu Ehren, weil ich mich erinnere, dass du ihn immer gern mochtest.“

„Nett von dir. Sag mal, irgendwie riecht es hier komisch.“

Sebastian hebt die schnüffelnd die Nase und springt aus dem Sessel, wie von einer Tarantel gestochen.

„Oh Gott! Mein Fisch!“

Er stürzt in die Küche, wo in einer großen Pfanne vier schwärzlich gekrümmte, rauchende Dinger schrumpeln, reißt die Pfanne vom Herd und das Fenster auf. Timo folgt ihm und beide sehen angeekelt auf das, was Sebastians Freitagsfisch war.

„Pfui Teufel, stinkt das bestialisch!“

„Da ist nichts mehr zu machen“, Sebastian kippt den Inhalt der Pfanne in den Müll, „ich fürchte, wir werden uns beide mit Bohnen und Kartoffeln begnügen müssen.“

„Mir recht, wenn die nicht auch angebrannt sind.“

„Nein, backen nur ein bisschen im Topf. Kann man noch essen. Ich mach uns schnell einen Salat dazu.“

„Kompliment, schmeckt ausgezeichnet. Tut mir nur leid, dass deine Fische für den Müllkasten ihr Leben lassen mussten“, sagt Timo, als sie am Tisch sitzen.

„Immer musst du das letzte Wort haben. Jetzt lass uns aber von was anderem reden.“

 

Yvonne Habenicht 2002


 

 

 


 

 

 

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