Café Lerch

     


Café Lerch  


                                                                       

 

ein Bild

 

Lilli schob genüsslich ein Stückchen ihrer Sahnetorte in den Mund und ließ es zufrieden auf der Zunge zergehen. Sie lehnte sich in den breiten, roten Polsterstuhl zurück. Der Stuhl war ihr Stammplatz im Café Lerch, er war ihr angemessen, denn Lilli war eine Frau, die nicht leicht zu übersehen war. Trotzdem saß bei ihr alles am rechten Fleck, eben, was man so als stattlich bezeichnen könnte. Dank der blondierten Haare und der Mühe, die sie sich gab, sich geschickt und dezent zu schminken, sah man ihr die 70 Lenze nicht an. Dennoch war sie die jüngste der drei Damen, die sich seit vielen Jahren an jedem Donnerstag im Café Lerch einfanden.

„Wisst ihr“, sagte sie, nachdem sie die Torte mit einem Schluck Kaffee hinuntergespült hatte, „es ist doch komisch. Da hat man ein halbes Leben lang mit den Männern nichts als Schlamassel gehabt. Meinen Otto hab ich im Krieg kennen gelernt, jung und dumm wie ich war, hab brav auf ihn gewartet. Dann kam er aus der Gefangenschaft, inzwischen hatten wir Frauen hier die Plackerei – erst den Krieg und alles und dann die zerbombte Stadt, ging euch ja nicht anders – dann hat man die Männer gehegt und gepflegt, bekocht, bebügelt, bewaschen, weiß der Himmel was noch, ihnen den Rücken freigehalten für die Karriere, und dann sterben sie dennoch wie die Fliegen vor uns weg. Schaut euch doch um. Unsere Generation: nichts wie Witwen. Auch hier, immer mehr Witwen. Kommt mal ein Mann herein, dann mit seiner Frau, mit der er einkaufen war, oder es ist so ein junger Angestellter, der auf einen Kaffee hereinschaut und unser Urenkel sein könnte.“

Gertrud, die älteste im dreiblättrigen Kleeblatt, stellte sacht ihre Kaffeetasse ab. Als pensionierte Studienrätin hatte sie noch immer etwas Schulmeisterliches an sich. Ihr weißes Haar war straff nach hinten gekämmt und säuberlich aufgesteckt, und sie trug nie etwas anderes als graue Kostüme mit weißen Blusen und blauen Tüchern. Ihr langes Pferdegesicht hatte stets einen leicht zurechtweisenden Ausdruck, der sich jetzt noch verstärkte, als sie Lilli streng durch ihre goldgerandete Brille ansah.

„Ja, Lilli, was willst du eigentlich in unserem Alter? Es geht uns doch gut. Unsere Männer haben nicht schlecht vorgesorgt. Wünschst du dir vielleicht einen nörgelnden, siechen Gatten hinter der Morgenzeitung? Also, ich bin’s zufrieden, wie es ist. Egon war nicht der einfachste Ehemann. Weiß Gott, das war er nicht, das wisst ihr ja. Na ja, und ich hatte schließlich meine Schule, sonst wäre es mir wohl manchmal noch schwerer geworden mit ihm, Hallotrio, der er nun mal war. Ich will ihm nun so viele Jahre nach seinem Tod nichts nachsagen, aber ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, er würde mir allzu sehr fehlen.“

„Aber lustig war es doch immer mit ihm. Wenn ich so an so an unsere Abende beim Kartenspiel oder im Kegelclub denke...“, meinte Lilli.

„Ja, in Gesellschaft war er immer oben auf. Konnte sich gut ins rechte Licht setzen. Darum hat er auch so prima in die Politik gepasst.“

Lotti, die mittlere der drei, hatte endlich den Kampf mit einem zu großen Happen sehr trockenen Streuselkuchens gewonnen und konnte nun am Gespräch teilnehmen. Sie war klein, spindeldürr und hatte etwas von einem Vogel, wie sie da über ihrem Kuchenteller hockte mit der langen spitzen Nase und den flink herumwandernden, kleinen dunklen Augen. Auch ihr graues, dauergewelltes Haar  hatte etwas von einem zerzausten Federkleid. Sie bestellte stets den trockensten Kuchen, den das Buffet bot, und betonte, wie wichtig es sei, im Alter schlank und gelenkig zu bleiben. Übergewicht, wie Lilli es auch noch stolz zur Schau trug, war für sie gleichbedeutend mit einem frühen Todesurteil. Überhaupt ging sie stets allen Rezepten für ein langes, gesundes Leben nach, nahm reichlich pflanzliche Medizinen, Tees und Säfte zu sich. Ganz im Gegensatz zu Gertrud, die predigte, frische Luft und Disziplin seien die wichtigsten Voraussetzungen, gesund alt zu werden. Immerhin war Gertruds Mann ihrer Ansicht nach daran gestorben, dass es ihm an beidem mangelte.

Lotti also hob ihren kleinen Vogelkopf und meinte: „In einem hast du Recht, Lilli, geplagt hat man sich schon für die Männer. Wenn ich noch an all die kalten Buffets denke, die ich für meinen Heinz herrichten musste! Und dann das große Haus, die Kinder... die schlechte Zeit anfangs... Später hatte man mehr, aber ihr wisst ja, er war geizig bis zum Fanatismus. Darum muss ich auch Gertrud Recht geben, obwohl ich Heinz ebenfalls nichts Schlechtes nachsagen will: jetzt geht es mir besser. Als er noch lebte, konnte ich mir keine Haushaltshilfe leisten, ganz zu schweigen von Kleidern und Schuhen.“

„Nun, das hast du ja weidlich nachgeholt“, warf Gertrud dazwischen, „und dann noch dein ganzer teurer Medizinkram, der dich noch mal vorzeitig ins Grab bringen wird.“

„Wir werden ja sehen, wer von uns noch in zehn Jahren das Tanzbein schwingt.“

„Womit wir wieder beim Thema sind“, sagte Lilli, „stellt sich nämlich die Frage, mit wem wir in zehn Jahren das Tanzbein noch schwingen können. Sind doch schon jetzt weit und breit kaum Männer unserer Altersklasse da.

„Hallo!“ winkte sie dann die Serviererin heran, „Uschi, bringen Sie doch bitte noch ein Stück von dieser herrlichen Zitronentorte. Die ist heute ganz besonders gut.“

„Du frisst dich noch mal zu Tode, Lilli“, meinte Gertrud mit leichtem Tadel.

„Na und? Das wäre mir nicht der schlechteste Tod. Ein Mensch ohne Laster ist wie eine Torte ohne Zucker. Tut doch nicht so, ihr habt ja auch eure Schwächen. Du Gertrud, du trinkst allabendlich deinen sündhaft teuren Kirschlikör... “

„Aber nur zwei Gläschen, dagegen hat nicht mal mein Arzt was.“

„Na, und du, Lotti, verschlingst mehr Medizin, als je Torte in mich hineinpassen wird.“

In diesem Moment schwang die Tür des Cafés auf, und ein Exemplar jener scheinbar ernsthaft vom Aussterben bedrohten männlichen Altersklasse betrat bedächtigen Schrittes das Café Lerch. Das männliche Geschöpf war recht groß, ging aufrecht und ganz ohne Stock einher. Um seinen knochigen Kopf stand ein weißer Haarkranz, und auf der matt geröteten Nase saß eine dunkle Hornbrille, hinter der leicht zusammengekniffene Augen die freien Plätze des Cafés musterten. Er ließ sich an einem kleinen Tisch nicht weit von unseren drei Damen nieder und gab der beflissen vor ihm erscheinenden Bedienung eine Bestellung auf.

Lilli betrachtete schmunzelnd die Freundinnen, während ihr rechter Mittelfinger auf der Armlehne des Stuhls auf und nieder wippte.

„Kennt ihr den? Oder warum starrt ihr so?“

Gertrud wandte sich ihr zu: „N... nein, wieso? Wo starre ich denn? Ich warte nur, dass die Uschi herschaut, möchte noch einen Kaffee bestellen.“

„Red doch nicht. Ihr hättet euch mal beide im Spiegel sehen sollen.“

„Quatsch. Mir geht’s wie Gertrud“, meinte Lotti, „ich möchte auch noch einen Tee. Du weißt, ich nehme immer zwei Glas Tee.“

Lilli zuckte die Schultern.

„Habt euch nicht so. Ich hab ja auch geguckt. Gerade hatte ich doch gesagt, wenn wir uns hier umsehen, sehen wir nur Witwen, junge Männer und Ehepaare. Ist doch ulkig, dass sich mal ein einsamer älterer Herr hierher verläuft.“

„Wie sich das anhört“, konterte Gertrud, ganz wieder in ihren Studienrätinnenton verfallend, „bist ja selbst nicht mehr frisch, auch wenn du unsere Jüngste bist.“

„So hab ich das nicht gemeint. Außerdem fühle ich mich bei weitem noch nicht alt.“

Nachdem Lotti und Gertrud  den Wunsch nach einer neuen Bestellung geäußert hatten, mussten sie nun wohl oder übel nach der Bedienung winken. Lilli bestellte natürlich einen Eiskaffee: „Aber mit viel Sahne, bitte.“

Gertrud schüttelte leicht den Kopf, verkniff sich aber eine Bemerkung, um nicht nochmals an eigene kleine Sünden erinnert zu werden.

„Jedenfalls fällt es auf, wenn hier jemand hereinspaziert, den man noch nie gesehen hat“, sagte Lotti.

„Stimmt“, pflichtete ihr Lilli bei, „eigentlich sind uns mittlerweile fast alle bekannt. So lange, wie wir schon herkommen.“

„Vielleicht ist er nicht von hier. Zu Besuch oder so“, dachte Gertrud laut.

Der einsame Gast zog eine Zeitung hervor und vertiefte sich in einen Artikel auf der ersten Seite.

„Also, dieses Spekulieren macht mich richtig neugierig. Fast möchte ich ihn fragen „Na sag mal, Lilli!“ Gertrud stellte ihre Kaffeetasse ab, als wäre sie ein Zeigestock, mit dem sie energisch auf den Schultisch schlug. „Du wirst doch nicht jetzt damit anfangen, wildfremde Männer anzusprechen. Und mir jedenfalls ist es ganz egal, ob der hier zu Besuch ist oder zuvor nie ins Café ging, neu zugezogen ist oder sonst was.“

Lilli konnte richtig schalkhaft dreinschauen, wenn es ihr gelang, Gertrud aus der Fassung zu bringen. Das war nämlich nicht einfach, bei einer Frau, die kaum je eine Miene verzog und es als oberstes Gebot betrachtete, ihr steinernes Gesicht zu wahren.

„Meinst du, ich würde mich nicht trauen, Gertrud? Wollen wir wetten?“

Lotti rührte in ihrem viel zu heißen Tee: „Wie albern. Wetten! Bloß, weil wir jemand noch nie gesehen haben. Einen Fremden einfach ansprechen! Lilli, manchmal bist du richtig kindisch.“

Uschi kam wieder an den Tisch zu dem neuen Gast zurück, gab offensichtlich irgendeine Auskunft, die sie mit einem Kopfschütteln begleitete, sagte etwas, wobei sie eine Kopfbewegung in Richtung der drei Damen machte, und entschwand wieder in Richtung Kuchenbuffet. Daraufhin erhob sich der Mann langsam und kam zögernd auf die drei zu, die ihm fragend entgegenblickten. Jedenfalls schien sich die peinliche Idee mit der Wette nun zu erledigen.

„Entschuldigen Sie“, sagte er mit einer leichten Verbeugung, „ich habe schon die Bedienung gefragt, aber die konnte mir nicht weiterhelfen. Sie meinte, Sie wohnen hier in der Stadt und kennen sich gut aus?“

Gertrud nickte: „Das möchte ich meinen. Ich wohne schon seit 30 Jahren hier.“

„Ja, es ist nämlich so“, sagte der Mann, „ich suche eine Gärtnerei Wedel. Wissen Sie, sie wird von meiner Nichte und ihrem Mann betrieben. Ich habe die letzten Jahre im Ausland gelebt. Habe schon am Bahnhof gefragt, aber dort konnte mir auch niemand Bescheid geben.“

„Wedel? Wedel?“, überlegte Lilli laut, „doch ja, das ist aber nicht hier in der Stadt. Wedel, die sind in Maasdorf.“

„Ja“, nickte Lotti, „richtig. Ganz hinten am Ortsausgang. Ist aber nicht weit von hier. Sind Sie mit dem Auto da?“

„Nein, ich muss mich noch nach einem Leihwagen umsehen. Vielleicht wissen Sie auch, wo man hier einen bekommt?“

„Aber gewiss doch, beim Rehberger, in der Auenstraße“, erklärte Lilli. „Warum kommen Sie nicht mit Ihrem Kaffee kurz zu uns an den Tisch, und wir erklären Ihnen genau, wie Sie überall hinkommen. Ist doch schade, wenn der Kaffee kalt wird.“

„Sehr liebenwürdig. Danke. Wenn es denn keine Umstände macht...?“

„Aber nein“, Gertrud gelang sogar ein fast gewinnendes Lächeln.

„Ach“, flötete Lotti, als der Gast sich abwandte, und strich eilig eine ihrer Kringellöckchen aus der Stirn, „Männer sind doch so hilflos, wenn sie allein sind.“

Lilli zupfte ihr lila Halstuch zurecht: „Na ja, wenn er doch im Ausland war. Wie interessant, nicht?“

Der Hornbebrillte kam zurück, vorsichtig seinen Kaffee balancierend. Uschi erschien gerade mit einem Kuchenteller: „Oh, Sie wechseln den Tisch.“ Sie folgte ihm mit dem Kuchen. „Guten Appetit. Ich hoffe, die Damen können Ihnen weiterhelfen?“

„Gewiss, gewiss, Uschi“, sagte Gertrud wieder mit ihrem üblichen, gemessenen Tonfall. „Die Gärtnerei ist in Maasdorf. Aber der Herr hat wohl noch mehr Fragen.“

„Wissen Sie“, wandte sich Lilli lächelnd dem neuen Tischgenossen zu, „die Uschi kommt aus einem Dorf in der Umgebung, kennt sich noch nicht so gut aus.“

Sie begann in ihrer voluminösen Handtasche zu kramen. „So, da habe ich ja das Blöckchen. Ich zeichne Ihnen mal den Weg auf. Also, für die Fahrt mit dem Auto. Sie wollten doch eines mieten?“

„Ja, ja. Zu nett von Ihnen.“

Lotti verbrannte sich fast die Zunge an einem zu eilig genommenen Schluck des  heißen Tees, um zu fragen: „Sie haben im Ausland gelebt, darf man fragen, wo?“

„Natürlich. Wir haben ein Haus in Spanien. Aber vor einem Jahr ist meine Frau gestorben, und seitdem überlege ich ernsthaft, ob ich nicht wieder in die alte Heimat ziehe. Wenigstens will ich erst mal meine Verwandten wiedersehen.“

Gertrud nickte verständnisvoll: „Ja, allein in der Fremde, das ist nichts.“

„Ich habe zwar dort auch viele Bekannte, aber es ist mir auch zu viel mit dem Haus und allem. Man ist nicht mehr der Jüngste. Werde es wohl vermieten, an Feriengäste aus Deutschland, denke ich.“

„Das ist bestimmt nicht schwer“, meinte Lilli, während sie eifrig auf ihrem Block kritzelte und dann den Zettel abriss. „So, hier habe ich mal den Weg aufgezeichnet. Sehen Sie, Sie fahren hier die Kurzweiler Straße entlang bis zur Bundesstraße, dann bis Waldhütte, hier müssen Sie rechts abbiegen. Die Straße ist nicht besonders gut, aber es ist nur eine kurze Strecke, sehen Sie, dort ist dann schon Maasdorf, und am Ende der Durchfahrtsstraße, die heißt direkt Maasdorfer Straße, da ist die Gärtnerei. Kann man gar nicht verfehlen. Ach, Augenblick, ich schreibe noch die Adresse vom Rehberger dazu, wegen des Autos, nicht wahr.“

Sie reichte ihm den Zettel über den Tisch, als wäre es ein hübsches Präsent, und begleitete alles mit dem charmantesten Lächeln, das sie zu vergeben hatte.

„Zu nett von Ihnen. Danke sehr. Darf ich die Damen zu einem Likörchen einladen? Gewissermaßen als Dankeschön für die nette Hilfe?“

Die drei Gesichter erstrahlten. Lilli klapperte schelmisch mit den blau getuschten Wimpern, Lotti zeigte freudig ihre neuen Vorderzähne – sündhaft teuer, aber fast filmreif. Gertrud nickte gnädig und meinte: „Ja, danke. Wir sind ja zu Fuß, da dürfen wir wohl ein Likörchen nehmen, auch wenn es eigentlich noch zu früh für so was ist.“

„Haben Sie denn schon ein Zimmer?“, fragte Lotti.

„Nein. Mein Gepäck ist noch auf dem Bahnhof verschlossen. Ich wollte mich erst mal umschauen. Dachte, die Gärtnerei ist hier in der Stadt. Dann hätte ich erst meine Nichte begrüßt. Aber so werde ich mich wohl nach dem Kaffee nach einem Hotel umsehen.“

„Im Hirschen wohnt man sehr gut“, gab Lilli Auskunft. Das ist hier in der Straße, ein paar Häuser weiter. Sehr gepflegt, ganz moderne Zimmer, aber nicht ungemütlich. Hat auch einen hübschen Kaffeegarten nach hinten hinaus. Ich kenne die Besitzer seit vielen Jahren. Sie können sich auf mich berufen. Mein Name ist Liane Weizinger.“

Uschi kam mit dem Likör.

„Ziegler, Joseph Ziegler“, stellte sich der Herr vor. „Entschuldigen Sie vielmals, dass ich versäumte, mich vorzustellen. Na, dann zum Wohle, die Damen. Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin, sogleich auf drei so hilfsbereite, liebenswürdige Damen zu treffen. Ich muss nämlich gestehen, ich fühlte mich schon recht fremd und fast ein wenig verloren nach so langer Zeit.“

„Wie lange waren Sie denn nicht mehr in Deutschland?“, Gertrud nippte an ihrem Gläschen.

„Oh, an die 15 Jahre sind es wohl schon. Ja, die Zeit vergeht so schnell.“

„Da müssen Sie sich ja hier fast wie im Ausland vorkommen? Und Sie waren in der ganzen Zeit nie in der alten Heimat?“ Lotti schenkte dem Tischnachbarn etwas, was sie offenbar für ein gewinnendes Lächeln hielt. Es sah jedoch eher so aus, als wolle sie nach ihm schnappen, weil sie doch unbedingt bei jeder Gelegenheit die teuren Zähne zeigen musste.

„Nein“, meinte Herr Ziegler, „wir hatten es immer vor, meine Frau und ich. Aber... nun, sie war gesundheitlich nicht so auf dem Posten. Jedenfalls wurde die Reise immer wieder verschoben. Wir haben uns mit einigen Verwandten geschrieben. Na, manche sind nun auch tot. Meine Nichte hatte uns mal vor vielen Jahren – da war sie noch nicht verheiratet – in Spanien besucht.“

„Weiß sie denn nicht, dass Sie hier sind?“, fragte Lilli, als sie ihr Likörglas genüsslich geleert hatte, „ich meine, hätte sie Sie  nicht abholen können?“

„Nein, nein. Es war ein spontaner Entschluss. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Ich will keine Umstände machen.“

„Wollen Sie sich hier niederlassen?“, fragte Gertrud, die während der ganzen Zeit Herrn Ziegler ganz gegen ihre Art mit unverholender Neugier musterte.

„Wer weiß. Vielleicht. Aber jetzt möchte ich die Damen nicht länger aufhalten. Vielen Dank nochmals für die guten Tipps. Ich werde mich gleich um das Zimmer und ein Auto bemühen. Vielleicht laufen wir uns mal wieder über den Weg.“

Dabei sah er besonders freundlich Lilli an, was die anderen beiden geflissentlich zu übersehen versuchten. Er verabschiedete sich formvollendet, während die drei Damen nochmals beteuerten, bestimmt sähe man sich mal wieder, nett wäre das, sie seien jeden Donnerstag hier im Café.

Anschließend steckten sie die Köpfe zusammen.

„Ein angenehmer Mann“, sagte Lilli.

„Ja, und so nett. Ich denke, wir werden ihn bestimmt noch mal treffen, wenn er doch nach so langer Zeit seine Nichte besucht. Ich meine, da bleibt man ja nicht nur ein paar Tage“, Gertrud strich über ihr gestriegeltes Haar.

Lotti nahm den letzten Schluck aus ihrem Teeglas: „Bestimmt. Wenn er doch hier nebenan im Hotel wohnt, und sich vielleicht ganz in der Stadt ansiedelt. Er bedankte sich so freundlich. Vielleicht können wir ihm bei einer geeigneten Wohnung behilflich sein.“

Sie redeten noch eifrig darüber, wie schwierig es gewiss für ihn gewesen sei, so allein in Spanien, nach dem Tod der Frau, wie es doch die Menschen im Alter wieder in die Heimat ziehe. Sie überlegten, wie nett es sein könne, wenn er vielleicht künftig ihre Runde beleben würde. Bestimmt habe er interessante Dinge aus Spanien zu erzählen. Ja, der Kaffeegarten vom Hirschen war ja auch ganz nett, vielleicht könne man auch dorthin mal bei schönem Wetter zum Kaffeetrinken gehen...

Uschi lächelte ihnen nach, wie sie beschwingt tuschelnd das Café verließen.

Daheim standen sie vor ihren Spiegeln. Natürlich wusste keine, dass die anderen es auch taten. Sie betrachteten sich. Ja, eine jede fand sich recht annehmbar. Gertrud meinte zu ihrem Spiegelbild: Für mein Alter sehe ich doch recht respektabel aus, viel gesetzter als Lilli, die macht immer so auf jung. Aber vielleicht sollte ich doch mal zum Friseur gehen. Die grauen Kleider sind auch langweilig. Es ist Sommer, und bei Aschenbachs hängt ein schönes, blaues Kostüm im Schaufenster. Ob es meine Größe ist?

Lotti, die etwas kurzsichtig war, ging ganz dicht an den Spiegel heran. Ja, die neuen Zähne waren wirklich ihr Geld wert. Wie würde es aussehen, wenn sie sich demnächst so einen leichten Blauschimmer in ihr weißes Haar tönen ließ?

Lilli drehte sich selbstzufrieden. Nein, dünn war nicht schön. Man musste ja nur Lotti ansehen, an der die Kleider, so teuer sie auch waren, nur so hingen. Trotzdem, ein neues Kleid sollte sie sich jetzt zum Sommer zulegen. Wie alt dieser nette Herr Ziegler sein mochte? Höchstens ein oder zwei Jahre älter als sie. Auf keinen Fall so alt wie Gertrud. Der Kaffeegarten im Hirschen war keine schlechte Idee, mal was anderes als immer Café Lerch.

Als sie einige Tage später die Besitzer des Hirschen fragte, wussten die nichts von einem Herrn Ziegler. Im Café tauchte er auch nie wieder auf. Keine der drei Damen begegnete ihm je wieder in der Stadt. Es fiel allerdings auf, dass sie in der nächsten Zeit einige Veränderungen an sich vorgenommen hatten. Gertrud trug einen neuen Hut und das Haar darunter  leicht gewellt, Lotti hatte ebenfalls eine gefälligere Frisur und ein grünes Sommerkostüm, von dem sie überzeugt war, es mache sie mindestens zehn Jahre jünger. Lilli war noch ein wenig schicker als zuvor gekleidet und der Lippenstift war weniger dezent, sie hatte auch das Parfum gewechselt. Uschi im Café Lerch machte allen nette Komplimente, es blieben leider die einzigen. Sie spekulierten anfangs noch ein wenig über Herrn Ziegler, und warum er wohl nicht wieder auftauchte. Nun, vielleicht war das Wiedersehen mit den Verwandten nicht so gut verlaufen. Was gab es nicht immer alles für Ärger in Familien. Vielleicht war etwas mit dem Haus in Spanien, und er hatte eilig zurück gemusst.

Dann wurde das Thema von den üblichen kleinen Tagesneuigkeiten verdrängt, und bald erwähnten sie ihn nicht mehr. Nur manchmal sahen sie noch erwartungsvoll auf, wenn sich die Tür des Cafés öffnete. Doch es kamen stets nur die üblichen, bekannten Gäste hereinspaziert.

 

 Yvonne Habenicht

 

                                                  


           

 

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