Stubentiger


      Stubentiger       

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 Wir sind ein eingespieltes Team, meine Katze und ich. Na ja, ich gebe zu, wenn es darum ging, Grenzen abzustecken, habe ich viel Rücksicht auf ihre Vorlieben und Abneigungen genommen. Aber, sie akzeptiert einige bei mir auch. So ist es mit Katzen nun einmal: Sie haben ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, verbergen unter dem Kuschelfell unbeugsame Dickschädel, und sie lassen sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen. Wenn sie etwas wollen, dann setzen sie es durch, mit allen verfügbaren Mitteln. In der Regel bedienen sie dabei bewundernswerter Hartnäckigkeit. Sie schmusen und schnurren unwiderstehlich, bis sie ihren Menschen soweit haben, dass er ihnen zu Willen ist. Sie gehen einem dabei so gekonnt um den Bart, dass man am Ende gar nicht merkt, wie die Katze mal wieder ihren hübschen, kleinen Kopf durchgesetzt hat.  Hat sie zum Beispiel einen Lieblingsplatz, so kann man Kopfstände machen, sie wird ihn behaupten.

Lissys Lieblingsplatz des Nachts ist auf meinem Kopfkissen. Kaum habe ich mein Buch beiseite gelegt und das Licht ausgeknipst, kuschelt sie sich leise schnurrend wie eine Mütze um meinen Kopf. Drehe ich mich seitwärts, dann schmiegt sie sich in den Nacken, was oft recht angenehm ist. Doch wehe, ich verlasse mal nachts mein Bett: schon hat Madame das gesamte Kissen okkupiert und markiert darauf so niedlich die Schlummernde, dass ich es nicht übers Herz bringe, sie fortzuschieben, sondern mich bescheiden mit einem freien Kissenzipfel begnüge. Gewiss hat es nicht nur Vorteile, eine Katze, auch noch eine mit recht dickem, langem Fell auf dem Kopf und zeitweilig im Gesicht zu haben. Bis sie die rechte Lage gefunden hat, wedelt ihr Schwanz, der breit und wuschelig ist, wie bei einem Waschbären, über mein eingecremtes Gesicht, wo er haarige Spuren hinterlässt. Mein Haar muss ich morgens waschen, denn es hat dann ein mehrfaches Volumen, weil es sich mit ihrem Fell gemischt hat. Ganz zu schweigen, wie oft man so ein Kopfkissen wechseln muss. Aber das nehme ich mittlerweile in Kauf. Anfangs versuchte ich, es ihr abzugewöhnen, indem ich sie liebevoll, aber energisch an einen Platz an meinen Beinen verwies. Jedoch, kaum, vermutete sie, ich schliefe, kam sie leise und sanft an meinen Kopf geschlichen, kuschelte sich dort ein und verfiel glücklich schnurrend in ihre Nachtruhe. Nun hat sie mich seit langem soweit, dass mir etwas fehlt, wenn die Katze nicht auf meinem Kissen ist. Still und sanft hat sie erreicht, dass ihr Bedürfnis auch das meine geworden ist. Wer will nun davon sprechen, sie habe mich kleingekriegt?

Im Sommer, wenn die Nächte warm und sternenklar sind und ich bei offener Balkontür schlafe, kommt es schon vor, dass ihr Platz auf meinem Kissen lange leer bleibt. Dann geht Madame des Abends aus und kommt erst spät in der Nacht zurück. Wir wohnen im Hochparterre, und da meine Katze trotz ihrer nun reifen Jahre sehr gelenkig und sportlich ist, springt sie vom Balkon hinunter und wieder herauf, wie es ihr beliebt. Es ist ihr auch kein Baum zu steil, und bisher ist sie noch von jedem heil heruntergekommen. Das Nachbargrundstück ist ein beliebter Katzentreffpunkt. Manchmal, wenn ein Neuling auftaucht, gibt es eine Schlägerei mit fürchterlichem Geschrei, wobei meine Katze nicht die Leiseste ist. Sie hat nadelspitze Krallen und lässt dies jeden ungeliebten fremden Kater spüren. Anschließend, wenn sie schon die Schlacht siegreich beendet hat, springt sie mit lautem Gekreische auf meine Balkonbrüstung, so dass ich wie der Wind aus dem Bett spurte, um dem Krach Einhalt zu gebieten, bevor sie die halbe Straße geweckt hat. Es kommt schon vor, dass ich dann noch ihr Opfer erblicke, wie es mit hängendem Schwanz über den Rasen vor unserem Haus davonhumpelt.

Übrigens, wenn jemand glaubt, Katzen könnten nichts anderes von sich geben, als Schnurren und langweiliges Miau, hat er keine Ahnung von der Vielfalt der Stimmen unserer Stubentiger. Ich brauche Madame nicht zu sehen, ich höre genau den Ton, mit dem sie fordert, ich möge die Balkontür öffnen, ihr Futternapf sei morgens nicht schnell genug gefüllt, oder ich habe rücksichtsloserweise die Tür zum Badezimmer geschlossen. Alles, was sie mitzuteilen hat, hat einen besonderen Ton, der sich gründlich von den anderen Tönen unterscheidet. So gibt es, ebenfalls in jenen lauen Sommernächten, einen Ton, der mich unweigerlich aus dem Bett treibt. Sehr hoch, mit der Gleichmäßigkeit einer Alarmanlage. Dann weiß ich, sie hat eine Maus gefangen. Nie würde sie eine Maus draußen verspeisen. Nein, ich muss an diesem Jagderfolg Anteil nehmen. Sie bringt die Maus herauf, legt sie säuberlich auf immer den gleichen Platz, nämlich die rechte zum Zimmer gewandte Ecke eines  Teppichs, und dann geht dieser Singsang los. Ich richte mich also schlaftrunken auf, mache Licht, krieche aus dem Bett, bewundere den Fang gebührlich, taumle matt und müde wieder unter meine Decke, während Katze Lissy ihr Mäuschen verzehrt. Sehr säuberlich übrigens. Nie bleibt auch nur der kleinste Fleck oder sonst ein Überbleibsel auf dem hellem Teppich zurück. Sie hat eben Manieren.

Früher war sie recht scheu, was Fremde betraf. Sie verkroch sich, wenn Besuch kam, gern im Bettkasten meiner Schlafcouch oder unter der Kommode. Inzwischen ist sie geselliger geworden. Jedenfalls kann sich niemand auf der Couch niederlassen, ohne von ihr belagert zu werden. Wer etwas dagegen hat, während des ganzen Abends eine Katze zu streicheln, darf sich dort nicht hinsetzen. Na ja, und wer Katzen nicht mag, hat bei mir sowieso nichts verloren. Mittlerweile ist sie auch ziemlich gleichgültig gegenüber den Hunden meines Nachbarn. Sie springt einfach auf einen ihrer Lieblingsplätze, neben meinen Drucker vor dem Fenster und schaut hinaus, als ginge sie das ganze Hundegewusel im Zimmer nichts an. Dorthin kann kein Hund ihr folgen, der Platz reicht auch nur für eine Katze, und sie hat ihre Ruhe. Wir übrigens ebenfalls und die Hunde auch.

Partout in Erinnerung bringen muss sie sich, wenn ich mich auf der Couch zum Telefonieren niederlasse. Es scheint ihre Eifersucht zu wecken, wenn ich da mit jemandem spreche, der unsichtbar ist. Bei längeren Telefonaten gleicht es einem Geschicklichkeitsspiel, zu verhindern, dass sie das Telefon hinunterwirft, sich bei ihrem Hin- und Her in der Schnur verfängt oder auf die Taste gerät und das Gespräch abbricht. Gewöhnlich halte ich in einer Hand den Hörer, während die andere damit beschäftigt ist, die Katze in Schach zu halten. Manchmal verwirrt es meine Gesprächspartner, wenn sie plötzlich Sätze hören, wie: „Jetzt reicht es aber!“ „Lass das bitte!“ „Nun bleib schon hier liegen!“ Dann muss ich erklären, dass ich eine Katze habe, die unbedingt an jedem Gespräch teilnehmen möchte.

Nun mag es scheinen, ich sei die Sklavin meiner Katze geworden. Nein, nein, so ist es nicht. Wir haben die Grenzen abgesteckt und auch so manchen Kampf ausgefochten, denn auch ich verfüge über einen erheblichen Dickschädel. Es ist nicht so, dass man einer Katze gar nichts beibringen kann. Lissy vergreift sich zum Beispiel weder an meinen Blumen noch an meinen Handarbeiten, egal wie viel Wolle herumliegt oder wie viele Vasen auf den Tischen stehen. Sie weiß, dass sie in meiner Gegenwart nicht auf den Tisch gehen darf. Sie ist nie aufdringlich oder kommt mir zu nahe, wenn ich am Schreibtisch sitze. Manchmal lässt sie sich auf einer Sessellehne nieder und schaut meinem Tun zu, bis sie einschläft. Sie vergreift sich nicht an der Computermaus oder meinen Papieren, wo die auch verstreut sind. Auch, wenn ich in der Wohnung anderen Beschäftigungen nachgehe, stört sie mich nicht. Allerdings hat sie ein feines Gespür dafür, wann bei mir Freizeit angesagt ist. Über diese möchte sie nämlich weitestgehend verfügen. Sie versucht nie von meinem Teller zu essen - kein Wunder, ich bin Vegetarierin - doch mir wedelt schon mal der Schwanz über die Gabel oder ich muss die Tasse über ihrem Kopf balancieren. Anfangs trieben die Eifersucht und das Bedürfnis zu zeigen, welches Anrecht sie auf diese Wohnung hat, sie dazu, hier und da einen Sessel oder eine Decke einzunässen. Das haben wir dann auch in den Griff bekommen. Ich bin überzeugt, es hörte da auf, wo sie endgültig sicher war, hier der Hauptmieter zu sein. Na, sei‘s drum. Vergebe ich mir denn was damit, dass sie in jedem Raum ein Katzenklo hat?

Ja, und sie weiß ihre Krallen im Zaum zu halten. Nicht den winzigsten Kratzer habe ich je von ihr empfangen. Stets zieht sie ihre scharfen Waffen ein, wenn sie zu mir kommt. Möchte sie gestreichelt werden, so tappt sie mich mit samtweicher Pfote an. Gut, sie verwechselt manchmal einen Sessel mit dem Kratzbaum, aber ich habe mir extra Sessel angeschafft, denen das nichts ausmacht.

Wenn ich an kühlen Tagen die Balkontür schließe, während sie draußen ist, klopft sie manierlich mit der Pfote ans Fenster, um eingelassen zu werden. Gewiss, ab und an macht sie ein regelrechtes Spiel daraus: erst wird gemaunzt, damit sie hinaus kann, dann geklopft, damit sie herein kann. Allerdings hat dieses Klopfen bisher auch all meine Gäste begeistert, so dass ich das Spiel schon gern mal mitmache. Es ist ja so niedlich.

Ich bin ein Kerzenfan. Meine Katze respektiert eine jede Kerze. Ich würde zwar nicht die Wohnung mit brennenden Lichtern verlassen, aber ins Bad oder die Küche kann ich schon ohne Sorgen gehen. Lissy lässt die freundlichen Flammen fein in Ruhe.

Lese ich des Abends im Bett, so schmiegt sie sich gewöhnlich weich und zärtlich in meinen rechten Arm. Deshalb kann ich nie schwere, dicke Bücher mit ins Bett nehmen, denn ich muss sie in einer Hand halten. Nun, es gibt genügend Taschenbücher, und auf keinen Fall möchte ich auf diese liebevolle Kuschelstunde verzichten.

Lissy hat mich übrigens auserwählt, als sie noch ganz klein war. Sie und ihre Schwester tauchten eines Tages, offenbar ausgesetzt, weil die reinrassige Mutter es mit einem schäbigen Hauskater getrieben hatte, im Mietergarten unserer früheren Wohnung auf. Es war Liebe auf den ersten Blick. Der kleine Stubentiger, der aussah, wie ein winziger Waschbär mit einem riesigen Puschelschwanz, kam hartnäckig immer wieder auf mich zu, folgte mir in die Wohnung, wo wir noch mehr Katzen hatten und wich nicht von meiner Seite. Hinzugefügt sei, dass auch ich auf den ersten Blick in das kleine Tier richtig verliebt war. Das hat bis heute angehalten. Für mich ist sie die schönste Katze, die ich mir denken kann, auch die zärtlichste, klügste und intelligenteste.

Sagen Sie nicht, sie würde mir auf der Nase herumtanzen. Nein, nein, mir gefallen doch ihre kleinen Marotten.

Sie ist meine treue Gefährtin in allen Lebenslagen. Nur, wer das Leben mit Tieren kennt, weiß, wie es ist, heimzukommen und von einem liebevollen Tier empfangen zu werden. Manchmal denke ich, mein Kätzchen spürt genau, wie mir zumute ist, denn wie oft kommt sie schmusend und wie tröstend herbei, wenn ich niedergeschlagen oder ärgerlich bin, und wie sanft kann sie  sein, wenn mich mal die Grippe packt. Nie muckt sie oder zieht ein grimmiges Gesicht, wie’s Menschen nun mal häufig tun. Nie nörgelt sie. Gewiss, sie hat ihr eigenes Köpfchen. Aber wie nett setzt sie es doch durch.

Die Jugend haben wir beide hinter uns gelassen. Wir fühlen uns sehr wohl miteinander und möchten einander nicht missen. Diese kleine Geschichte soll ihr zu Lebzeiten ein Denkmal setzen, stellvertretend für so viele andere, liebe Stubentiger.

Vielleicht gibt die Geschichte auch manchem zu denken, der unachtsam und gleichgültig, womöglich gar feindselig mit solchen Tieren umgeht.

 

Yvonne Habenicht 2002

Berlin


                                    

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