Linde und Ahorn




Linde         

 

  und   Ahorn
ein Bild

 

                                                             

 Die alte Linde wiegt ihre Äste, auf denen die ersten Blättchen zart zu grünen beginnen. Ein paar aufgeregte Meisen zwitschern und hüpfen unablässig von einem Zweig zum anderen, fliegen kleine Kreise, um sich einen neuen, besseren Ast für die Nachtruhe zu suchen. Aber für eine Weile werden sie einander noch umflattern und sich mit ihren zarten Stimmchen die Ereignisse des vergehenden Tages zupiepsen. Langsam sinkt die Sonne vor einem orange-violetten Himmel ins weiche Dunstbett. Ihre sanften, lauen Abendstrahlen streichen noch einmal über das Land, als sage sie zart lächelnd „gute Nacht“.

Die alte Linde wiegt ihre Zweige raschelnd in Richtung des Ahorns neben ihr.

„Das war ein schöner Tag“, sagt sie, und dabei knarren ihre Sprechäste leise.

„Ja“, flüstert der Ahorn zurück, „ich konnte zusehen, wie meine Blätter aufgehen. Sie werden von Stunde zu Stunde schöner, wenn die Sonne scheint. Sieh nur, meine Blüten bedecken die Straße wie ein Teppich. Schade, dass die Menschen sie immer wegkehren. Was finden sie nur an den grauen Pflastersteinen?“

„Ich weiß noch, wie du gepflanzt wurdest. Du warst so klein und dünn, dass die Männer, die dich brachten, einen dicken Stamm als Stütze neben dir eingraben mussten. Wie lange ist das nun schon her?“

„Zwanzig Jahre, so in etwa. Und sieh, wie groß und stark ich geworden bin.“

„Ja, ja. Bist trotzdem noch ein junger Kerl. Weißt du noch, wie du im ersten Winter hier Angst hattest, nie wieder Blätter zu bekommen? Was hast du geknarrt  und gejammert, als Schnee und Frost deine Zweige steif machten!

„Ich war eben noch sehr klein. Die allerersten Winter hatte ich fast verschlafen, da war ich noch ein Baby.“
„Ach ja, vielleicht hatte ich auch Angst, als ich noch so klein war. Es ist so lange her. Ich erinnere mich nur noch, dass mir immer die Stürme und Gewitter Angst gemacht haben. Du weißt, früher standen hier noch keine Häuser. So weit man sehen konnte, nur Felder und wenige andere Bäume. Zu weit weg, als dass sie mich hätten trösten können. Wenn dann der Sturm blies, fürchtete ich stets, er würde meinen Stamm brechen. Manchmal drückte er mich auch fast zu Boden.“

„Ich stelle es mir ganz schön vor mit den vielen, grünen Feldern und bunten Blumen, den Hasen, von denen du erzählt hast, und alldem, obwohl ich noch nie im Leben ein Feld oder einen Hasen gesehen habe.“

„Doch, es war schön“, raschelt die alte Linde ihre Erzählung weiter, „die Hasen liefen abends über die Felder. Manchmal kamen auch Rehe. Rehe hast du auch noch nie gesehen. Sie sind furchtbar scheu, haben vor allem und jedem Angst.“

„Menschen gab es doch aber auch damals.“

„Natürlich. Nur nicht so viele, nicht hier jedenfalls. Die Bauern kamen und bestellten die Felder. Ihre Kinder spielten hier. Als ich stärker und größer war, kletterten die Kinder auf mir herum. Die Mutigsten schafften es fast bis in meine obersten Äste. Wenn ein Regenguss herabpladderte, drängten sie sich ganz dicht an meinen Stamm, damit sie nicht so nass wurden. Du weißt ja, die Menschen mögen den Regen nicht so wie wir. Viel später haben sie dann angefangen, hier immer mehr Häuser zu bauen und auch Straßen, wo vorher die Feldwege waren. Ich zitterte, wenn ich sah, wie sie die Bäume abschlugen, um Platz für ihre Häuser zu schaffen. Immer dachte ich, am nächsten oder übernächsten Tag könnte ich auch dran sein.“

„Warst du aber nicht. Du hast eben Glück gehabt. Vielleicht hast du ihnen auch so gut gefallen.“

„Ja, sie haben die Straße an mir vorbei gebaut. Aber dann ist das Leben der Bäume sehr unruhig geworden. Stets wurde an uns herumgeschnitten, Baumaschinen machten Lärm, Autos und Motorräder. Die Luft war staubig und roch oft schlecht, nie wieder war sie so süß, wie früher, wenn der Wind durch das Korn fuhr. Und dann kam wieder ein Krieg. Der erste hatte uns Bäumen hier nicht so viel angehabt. Wir haben nur gesehen, wie die Männer davongingen und die Frauen und Kinder immer dünner wurden. Aber bei dem nächsten ging es arg her. Aus den Flugzeugen fielen schwarze Brocken, die auf der Erde explodierten und alles in Brand setzten. Die Häuser, die Straßen. Viele von uns Bäumen waren nur noch verkohlte Stämme. Als das Haus, das sie hier vor mir gebaut hatten, brannte, standen auch meine Äste in Flammen. Das tat weh, und ich dachte: nun ist es aus mit dir, Linde. Aber du siehst, die neuen Äste unterscheiden sich nicht mehr von den ganz alten, und ich bin grüner denn je. Na ja, ein neues Haus wurde dann später ja auch gebaut.“

Ein milder Nachtwind gleitet durch die jungen Blätter, er führt Feuchtigkeit mit und riecht nach der weiten Welt. Die kleinen Meisen haben ihre Köpfe schon lange unter die Flügel gesteckt. Nur hin und wieder piepst eine im Traum. Die Blätter, nicht wissend, dass ihr Leben nur einen Sommer währen wird, flüstern einander kleine Geschichten zu.

Seit zwanzig Jahren, denkt der Ahorn, erzählt mir die Linde nun die gleichen Geschichten. Das wird wohl auch noch die nächsten zwanzig Jahre so gehen, aber wenigstens erzählt sie. Die Tannen drüben bringen kaum mal ein Wort raus. Eingebildet, nur, weil sie zu  Weihnachten mit Lichtern geschmückt werden. Was ist das schon? Alljährlich sehen sie, wie ihre Brüder aufgeputzt in den Zimmern stehen und dann achtlos auf die Straße geworfen werden. Nicht mal rauschen können sie mit ihren Nadeln.

Die alte Linde streckt wohlig ihre Zweige in die Nachtluft, zieht tief die vielen Düfte ein, die der Wind mitbringt, und fährt fort zu reden:

„Aber die neuen Häuser sind hübsch. Bunt sind sie, im Sommer können wir mit den Blumen auf den Balkons plaudern, um die die Bienen schwirren. Man kann den Menschen in die Fenster sehen. Langweilig ist es nicht.“

„Nein“, raschelt der Ahorn mit den jungen Blättchen, „manchmal sage ich dem Wind, er soll ein paar Samen von mir auf die Balkons und in die Gärten blasen. Das ärgert die Blumen ungemein und auch die Leute, die dann die Ahorntriebe ausreißen müssen.“

„Kindisches Vergnügen“, sagt die Linde. „Aus meinen Blüten können die Menschen Tee machen. Machten sie früher jedenfalls. Ich glaube, heute wissen sie das nicht mehr.“

„Wenn im Herbst meine großen Blätter so schön bunt werden“, murmelt der Ahorn, „sammeln die Kinder sie. In dem großen Fenster da drüben haben sie letzten Herbst sogar Blätter von mir an die Scheiben geklebt.“

„Hörst du, jetzt kommen die Hunde zum Abendspaziergang.“

Der Ahorn wiegt seine Krone.

„Sind manchmal recht laut, die Hunde, aber immer freundlich. Die dummen Tannen drüben rümpfen die Nasen, weil uns die Hunde an die Wurzeln pinkeln dürfen. Sie sagen, wir seien nur schäbige Straßenbäume.“

„Die sind nur neidisch, die stacheligen Gesellen. Stehen hinter einem hohen Zaun, und kein Hund kommt zu ihnen. Sogar den Katzen sind sie zu pieksig, oder hast du schon mal gesehen, dass eine Katze auf sie draufsteigt?“

Als die Hunde ihr Geschäft verrichtet und den Bäumen eine gute Nacht gewünscht haben, ist es still in der Straße. Der Mond gleitet hinter den Dächern entlang. Über ihm liegt eine kleine Wolke wie ein Hut. Die beiden Bäume sehen zu ihm auf und neiden ihm den Blick auf die ganze Welt.

Der Ahorn gähnt: „Ich möchte unendlich hoch und groß werden. Noch viel, viel größer als du, Linde. So hoch möchte ich werden, dass ich ganz weit über alle Häuser sehen kann. Ich wüsste zu gern, was alles dahinter ist.“

„Etwas größer wirst du noch werden. Aber auch älter, und dann wirst du wissen, wie gut es ist, seine Wurzeln an einem sicheren Fleck zu haben. Was schert mich, was hinter den Häusern ist? Ich bin zufrieden hier an meinem Platz, wo die Vögel in mir nisten, die Eichhörnchen mir was erzählen, die Hunde und Katzen um meinen Stamm schwänzeln und ich den Menschen gute Luft und Schatten geben kann. Mehr kann ein Baum nicht haben.“

Aber der Ahorn blickt weiter gedankenvoll auf den runden Silbermond, träumt von der fernen Welt und lässt seine Blätter ein sehnsuchtsvolles Schlaflied singen.

 

Yvonne Habenicht


                


                                                      

 

 

 

 

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