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Der Terrorist
Der Terrorist
Wir alle wissen heutzutage, wie ein Terrorist aussieht. Der gemeine Terrorist ist bärtig, grau oder schwarz, mal verfilzt und lang, mal kurz getrimmt, von brauner oder kränklich grauer Hautfarbe, er trägt entweder lange weiße Nachthemden und Tücher um den Kopf oder ausgeleierte T-Shirts, zerschlissene Jeans und Baseballkappen. Er bewegt sich als Einzelgänger oder in Gruppen von Menschen, die sich in der Regel im Dunklen und an verlassenen Orten oder aber als Ablenkungsmanöver an belebten Treffpunkten wie Discos, Bahnhöfen, Einkaufsmeilen zusammenfinden. Er ist ein Bastler, das muss er schon wegen der Bomben sein, und er nutzt intensiv das Internet wegen der internationalen Terrorkontakte. Kurzum, man kann ihn ziemlich leicht aus der Masse der Mitmenschen herausfiltern.
Ich bin zutiefst überzeugt, dass mein Nachbar ein Terrorist ist. Lange genug beobachte ich ihn schon. Mir fehlen nur noch einige wenige Glieder in der Beweiskette, um den ganzen Fall der Polizei vorzulegen.
Natürlich trägt mein Nachbar einen Bart und mit einem Akzent spricht er auch. Ich kann bloß nicht rauskriegen, was seine Muttersprache ist. Aber bestimmt was Arabisches oder sonst wie Asiatisches. Er hat sehr dunkles Haar, sein Bart ist auch dunkel. Ein Bart, der sich um das ganze untere Gesicht rankt, so dass man gar nicht genau sehen kann, wie der Mann eigentlich aussieht. Ja, und stechende dunkle Augen hat er auch. Es heißt immer, Augen seien der Spiegel der Seele, aber tut mir leid, bei dem sehe ich da keine Seele. Der guckt immer gleich. Was mir aber auffällt, ist dass mein Hund – ein sehr kluges Tier, Mischling aus Rehpinscher und Rottweiler – ihn immer anknurrt. Mein Freund meint zwar, das käme, weil mein Nachbar dem Hund mal auf den Fuß getreten hat, aber ich bin überzeugt, das Tier spürt, dass mit dem was nicht stimmt. Hunde riechen so was, und erst recht Hunde mit einem solchem Rassenachweis. Man sieht doch immer im Fernsehen, wie die auch Sprengstoffe und sogar Geld riechen können. Bestimmt hat der Kerl Sprengstoff in der Wohnung.
Mir fällt auch auf, dass er verdächtig oft und lange in den Keller geht. Als Alibi nimmt er immer eine volle Schüssel mit nasser Wäsche mit. Bestimmt verbirgt er unter der Wäsche seine halbfertigen Bomben. Mal ehrlich, wie kann denn ein allein lebender Mann so viel Wäsche haben? Ich selbst wasche zwei Mal in der Woche meine Unterhosen, alle 14 Tage mein T-Shirt und zwei Mal im Jahr die Bettwäsche. Ich bin ihm auch schon nachgeschlichen und habe gesehen, wie er anschließend noch in seinen Hauskeller geht. Dort klappert es dann verdächtig hinter der Tür. Bestimmt hat er da schon ein ganzes Waffenarsenal. Hab schon mit allen möglichen meiner Schlüssel versucht, Zugang zu bekommen, aber der hat so ein raffiniertes Schloss eingebaut, wo kein anderer Schlüssel passt. Auch verdächtig, denn was hat man schon Wertvolles im Keller, dass einer so ein Sicherheitsschloss braucht. In meinen Keller kann jeder reingucken. Da sind nur alte Fahrradteile, leere Kisten und jede Menge Spinnweben und Dreck.
Er ist auch sehr für sich. Mit keinem redet er viel, schon gar nichts über sich. Und er geht ganz oft spät abends aus dem Haus. Dann kommt er zu nachtschlafender Zeit wieder heim. Ich bin oft extra wach geblieben. Wie viele langweilige Bücher ich schon gelesen und blöde Filme gesehen habe, um nicht zu verpassen, wann sich nebenan der Schlüssel im Schloss dreht.
Wenn er nachts nicht auf Achse ist, dann brennt in der Wohnung die halbe Nacht das Licht. Das sehe ich, wenn ich mit meinem Waldi meine Spätrunden drehe. Da sitzt er bestimmt am Computer und pflegt die Kontakte zu den internationalen Terroristennetzen. Ich beneide jeden Hacker um sein Können. Dann wüsste ich nämlich schon mehr.
Vor zwei Tagen hatte er Besuch. Ein Mann, ebenso bärtig wie er selbst. Sie sprachen, aber ich konnte natürlich kein Wort von den fremden Lauten verstehen. Immerhin habe ich mitbekommen, dass der fremde Mann bis tief in die Nacht bei ihm blieb. Es war nichts zu hören. Ich meine, wenn man Besuch ist, dann redet man doch schon mal lauter, gießt ein paar hinter die Binde und so. Aber bei denen? Alles still wie im Leichenschauhaus. Als ich aus dem Fenster sah, konnte ich beobachten, wie der Fremde auf ein Fahrrad stieg. Klar, Fahrrad, damit sich keiner eine Autonummer merken kann. Die sind ja heute mit allen Wassern gewaschen, diese Terroristen.
Gestern waren über Stunden eigenartige Geräusche aus der Wohnung nebenan zu hören. Es ratschte, als wenn jemand kräftig an was herumfeilte, dann knarrte es, dann quietschte es, dann polterte was. Weiß der Henker, was der da wieder gebaut hat. Bestimmt eine Bombe in irgendeinem Gegenstand, wo sie keiner vermutet. Und dann hat es angebrannt gerochen und ich hab gehört, wie er geschimpft hat. In der fremden Sprache natürlich. Mir brennt auch mal ein Essen an. Bei dem aber hat das ganz anders gerochen. Vielleicht sind ihm ein paar Drähte für die Sprengkörper durchgebrannt oder sonst was Elektrisches, was man dazu braucht. Als unbedarfter Bürger hab ich von solchen Dingen ja keine Ahnung. Ich hab nur immer Angst, dass mal das ganze Haus in die Luft fliegt. Vielleicht will der das ja, man hört doch immer von Selbstmordattentätern. Vielleicht hat der vor, sich und uns alle, auch mich und meinen Waldi, in die Luft zu donnern.
Heute Mittag kam er mit einem Aktenkoffer nach Hause. Verdächtig. Entweder war da schon die Anzahlung drin für den geplanten Anschlag oder eine Bombe. Ich fühle mich meines Lebens nicht mehr sicher. Und dann verschwand er schon wieder und kam mit lauter Tüten heim, in denen es klapperte. Bestimmt Metallteile für Bomben.
Vor einer Stunde klingelte es bei ihm drei Mal hintereinander. Ich war gleich am Spion. Da stand eine dicke Frau im Dirndl mit einem grauen Dutt und einem alten Koffer. Er rief: „Jo, Mama!“ Dann redeten sie beide sehr unverständlich aufeinander ein und die Tür ging zu. Die Frau sah eigentlich nicht nach einer Terroristin aus. Aber kann man es wissen? Seine Mama war die jedenfalls doch nicht, die hatte gar keine Ähnlichkeit, weder schwarze Haare noch einen Bart.
Abends kam mein Freund zu Besuch. Ich hatte schon die Tür geöffnet, als ich ihn auf der Treppe mit einer Frau reden hörte. „Mei, des kennens a?“, rief sie aus, und mein Freund erzählte lang und breit, dass er früher über viele Jahre seinen Urlaub in den bayrischen Bergen verbracht hatte.
„Mit wem hast du denn da geredet?“, fragte ich ihn voller Neugier.
„Na, mit der Mutter von deinem Nachbarn. Das sind ja richtige Urbayern. Die war ganz begeistert, dass ich sogar ihr kleines Dorf kannte. Sie meint, so richtig heimisch wird ihr Sohn hier in der Stadt nicht. Er will wohl bald wieder zurückziehen. Hat wohl gedacht, er könne hier mit dem Bruder was aufbauen, aber der sei neulich bei ihm gewesen und habe gesagt, er würde auch wieder zurück aufs Land gehen.“
Egal, mir kann keiner was vormachen. Die tun jetzt so, als ob sie harmlose Leute vom Land sind. Aber ich kann doch einen bärtigen Terroristen von einem ehrlichen Bayern unterscheiden.