Ein tierischer
Prozess
Richter Dr. Kross blickte mit wenig Begeisterung auf den Angeklagten, eine mittelgroße Gestalt, deren Kopf fast im Kragen zu verschwinden schien, die dafür aber mit riesigen Händen und Füßen gesegnet war. An dem Mann hing ein marineblauer Anzug von nicht ganz fleckenloser Güte. Um den großen Hemdkragen hatte er eine knallgelbe Krawatte gewürgt. Der Richter verlas die Anklage. Herr Knurr, 59 Jahre alt, wohnhaft in Musselstedt, tätig als Beamter im dortigen Rathaus, war der Entwendung und des Versteckens des Hundes seines Nachbarn Sorgfalt in Tateinheit mit dem Versuch räuberischer Erpressung angeklagt. Als Beweisstück lag dem hohen Gericht ein Erpresserbrief mit der Forderung von 30.000 Euro vor, der zur Krönung dieses Falles auch noch vom Erpresser, also Herrn Knurr, selbst unterzeichnet war. Das hatte bereits vor der Verhandlung zu allgemeinem Kopfschütteln geführt.
„Möchte Ihr Mandant sich zu den Vorwürfen äußern?“, fragte Richter Kross an den Verteidiger Block gewandt. Dieser nickte mit der ihm eigenen Müdigkeit. Herr Knurr trabte auf seinen großen Füßen, die in hellblauen Schuhen steckten, zum dem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes und ließ sich lautlos nieder, die Riesenhände vor sich auf dem Tischlein gefaltet, und blickte voll naiver Erwartung auf Richter Dr. Kross.
„Herr Knurr, Sie haben die Anschuldigungen gehört, die gegen Sie vorliegen. Was haben Sie dazu zu sagen?“
Eigentlich sah der Fall so klar aus, dass Dr. Kross mit einem Geständnis rechnete. Er malte sich aus, was er mit der gewonnenen Zeit des schnellen Verfahrens anfangen wollte.
„Ich hab mir nix vorzuwerfen“, begann Knurr, „am 16. April, das war ja ein Samstag, besuchte mich der Hund meines Nachbarn.“
„Der Hund besuchte Sie?“
„Jawohl. Er tut das öfters. Er ist immer sehr gesittet. Er geht in die Küche, wartet höflich, bis ich die Wurst oder einen Kuchen auf einen Teller lege, und verspeist das dann.“
„Das heißt, Sie wollen sagen, Sie hätten den Hund nicht entführt?“
„Ach, wo denken Sie hin. Er kam so herein. Ein schöner Hund übrigens, ein seidig schwarzer Labrador, ein wenig rund, doch gibt ihm das etwas Gesetztes, finde ich.“
Der Richter begann sanft mit seinem linken Mittelfinger auf den Tisch zu klopfen: „Was geschah weiter?“
„Der Hund bedankte sich und ging wieder davon.“
„Er…bedankte sich?“
Herr Knurr nickte: „Jawohl, das tut er immer. Er leckt mir die rechte Hand, dann neigt er den Kopf und geht davon. Ich glaube, er wird von seinem Herren, also meinem Nachbarn nicht genug gewürdigt.“
„Sie behaupten, der Hund ging. Wohin?“
„Das geht mich nichts an, der Hund ist ja erwachsen.“
Auf der hintersten Bank kicherte jemand, und der Richter bat um Ruhe.
„Sie wussten aber, dass es der Hund Ihres Nachbarn Herrn Sorgfalt ist, und Sie haben am 22. April diesen Brief“, der Richter hob einen Brief in die Höhe, „in seinen Briefkasten geworfen.“
„Das kann sein. Ich nehme öfters, wenn ich da bin, die Briefe für den Nachbarn mit ab, weil der Postbote mit seinem Rad nicht an seinen Kasten ranfahren kann. Aber ich habe keinen Brief geschrieben und keinen Hund entführt. Der Hund tut, was er für richtig hält, und ich schreibe keine Briefe. Nie. Ich hab auch den Brief nicht geschrieben. Ich kann…ja, äh…also, ich kann nicht schreiben. Und ich brauche auch nicht das Geld von anderen Leuten. Mein Haus ist nicht groß, wo sollte ich den Hund verstecken?“
„Sie können nicht schreiben?“Auch der Anwalt Block blickte verdutzt zu seinem Mandanten. Das hatte der ihm verschwiegen. Er hatte ihn lediglich für reichlich beschränkt gehalten.
„Nein. Nur meine Unterschrift. Die habe ich auswendig gelernt.“
„Aber Sie sind doch im Rathaus von Musselstedt als Beamter tätig?“
„Richtig. Dafür brauche ich auch nicht schreiben. Nur ab und zu unterschreiben. Meist sorge ich dafür, dass andere schreiben können. Ich besorge das Papier, die Kuliminen, spitze die Bleistifte und stecke das Kabel vom Computer in die Steckdose, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Kollege mal wieder denkt, das Gerät sei kaputt. Die wollen dann immer die Techniker holen und ich mache das dann schnell.“
Nicht nur dem Richter, sondern fast allen Anwesenden entglitten sämtliche Gesichtszüge.
„Sie sehen“, sagte Knurr, „ich kann den Brief nicht geschrieben haben, weil ich nicht schreiben kann. Darum habe ich ihn nicht geschrieben. Weil ich nicht schreiben kann. Und so eine Unterschrift ist doch für jeden leicht, wenn sogar ich die kann, wo ich gar nicht die Buchstaben kenne, weil ich doch nicht lesen und nicht schreiben kann. Das kann jeder, auch wenn er nicht schreiben kann.“
„Danke, Herr Murr“, sagte der Richter mit leicht ungeduldigem Unterton. Also kein Geständnis, dachte er, na, dann eben nicht.
Frau Staatsanwältin Kusemuckel, die schon gedacht hatte, es gäbe hier kaum was zu tun und in Gedanken bei ihrem Buch „Das Verbrechen lauert hinter jeder Tür“ war, an dem sie bereits seit einigen Jahren arbeitete, hob den Kopf. Der Mann wirkte dumm, und die Überführung von Dummköpfen empfand sie immer als unter ihrer Würde. Außerdem mochte sie den müden Rechtsanwalt Block mit seiner schleppenden Stimme und dem dicken Bauch nicht. Dies beruhte auf Gegenseitigkeit, denn der Anwalt fand, dass Frau Dr. Kusemuckel, nicht nur wegen ihres Namens, für jedes Gericht eine Zumutung war. Allein schon ihr grauer Dutt im Nacken und die langweiligen Kostüme ließen ihn gähnen.
Jetzt hob die Staatsanwältin mit spitzen Fingern das Beweisstück in die Höhe und schritt mit klappernden Absätzen auf Herrn Knurr zu. „Herr Knurr, wenn Sie behaupten, nicht schreiben zu können, so werden Sie nicht abstreiten, dass dies Ihre Unterschrift ist.“
„Doch, doch, das sieht so aus, wie wenn ich unterschreibe.“
„Und Sie bestreiten, die vorhergehenden Zeilen geschrieben zu haben? Ich zitiere nochmals: ‚Ich weis wo ihr Hund is. Wnn sie den widerhabn wollen kostet das 30.000 euro. Bei Zalung kommt der Hund wider.’“
„Das hab ich nicht geschrieben, weil ich nicht schreiben kann.“
„Haben Sie es vielleicht von einem Komplizen schreiben lassen, der beteiligt war, und nur unterschrieben?“
„Ich hab keine Komplizen, nur Kollegen. Ich bin Beamter.“
Anwalt Block warf ein, dass es immerhin möglich sei, dass sein Mandant das Blatt ohne Kenntnis des Inhalts unterschrieben habe.Der Richter fragte, ob im Amt oder im Haushalt des Angeklagten solche hellblauen Din-A-5-Zettel verwendet würden.
„Bei mir nicht. Ich schreib ja nicht, da hab ich auch keine Zettel“, erklärte Herr Knurr. „Im Amt sind eigentlich mehr so weiße große Blätter oder welche mit Vordrucken, wo Leute Kreuze draufmachen und dann einer unterschreibt. Aber genau weiß ich das nicht.“
„Sie kennen doch die Zahlen, Herr Murr, “ meinte der Richter, „erinnern Sie sich, etwas unterschrieben zu haben, worauf so eine hohe Summe stand? Das müsste Sie doch stutzig machen.“
„Ach, wissen Sie, Herr Richter, im Rathaus, da sind oft Blätter, wo große Summen draufstehen. Ich krieg ja auch meine Bankauszüge, da stehen auch große Zahlen drauf. Nein, stutzig macht mich das nicht.“
Man sah Richter Kross deutlich an, dass seine Nerven sehr angespannt waren, als er mit erschöpfter Stimme mitteilte, man wolle in die Beweisaufnahme eintreten.
Der Hundebesitzer, Herr Sorgfalt, wurde als erster befragt. Strammen Schrittes stampfte er auf den Zeugentisch zu, setzte sich auf den Stuhl, der unter seinem Gewicht kläglich stöhnte, und gab nur widerwillig seine Personalien an. „Das wissen Sie doch alles schon. Also gut, ich bin der Johann Sorgfalt, 57 Jahre, Besitzer der Autowerkstatt Oberfelder Weg 3 in Musselstedt und wohne Gruberweg 5 in Musselstedt.“
Aufgefordert, die Ereignisse zu beschreiben, ließ er ein zorniges Zischen wie eine alte Dampflok hören und tönte mit empört lauter Stimme: „So, also seit dem 16. April vormittags vermisse ich meinen Hund. Von der Frau Gernegroß gegenüber hörte ich, dass er von Herrn Knurr in dessen Haus gelockt wurde. Mein Hund! Man stelle sich das vor.“
„Wann haben Sie bemerkt, dass der Hund weg war?“, fragte die Staatsanwältin.
„Mittags, als ich ihm einen Knochen geben wollte, wie ich das immer am Wochenende mache.“
„Was haben Sie dann unternommen?“
„Ich habe ihn gerufen, gesucht und dann in der Nachbarschaft gefragt. Alle, auch Herr Knurr, verneinten zu wissen, wo Ferdi ist. Frau Gernegroß war zu der Zeit schon zu ihrer Tochter gefahren. Darum konnte sie mir erst am folgenden Wochenende erzählen, was sie gesehen hatte. Ich war so verzweifelt, dass ich in den folgenden Tagen mindestens drei Kilo abgenommen habe. Diebstahl kommt bei mir gleich hinter Mord.“
„Sie haben dann einen Brief bekommen?“
„Ja, am Freitag, dem 22. April. Meine Haushaltshilfe hat gesehen, wie ihn Herr Knurr in den Kasten bei uns steckte. Ohne Scham und Hemmung, hat ihn noch selbst eingesteckt! Meine Frau und ich sind zu der Zeit ja in der Firma, in der Autowerkstatt. Wir sind fleißige Leute, verdienen ehrlich unser Geld. Darum ist es besonders infam, dass wir für unseren eigenen Hund 30.000 Euro zahlen sollten. Schließlich hat er mal nur 800 DM gekostet. Steht doch in keinem Verhältnis. Für kleine Selbstständige sind 30.000 eine Unsumme. Wir sind gleich zur Polizei, und ich hab auch gleich gesagt, wen ich verdächtige, weil die Haushaltshilfe ihn doch am Kasten gesehen hat. Und der hat doch auch den Brief geschrieben. Von wegen, der kann nicht schreiben. Gibt’s doch gar nicht. War seine Unterschrift. Weiß ich. Das Schwein, der Lump! Ich wusste immer, mit dem stimmt was nicht. Immer so still, und…“
„Herr Sorgfalt“, verwies ihn der Richter, „bitte keine Beleidigungen.“
„Entschuldigung, aber ich bin erregt. Ach, erzürnt, wütend, ich könnte…ach… Na, wie gesagt, dann bin ich gleich zur Polizei. Bis dahin hab ich gedacht, der Hund hat einen Unfall gehabt oder sich verlaufen oder so. Hab so Zettel überall drangemacht mit einem Bild von Ferdi.“
Rechtsanwalt Block wandte sich dem Zeugen zu. Seine hängenden Augenlider verdeckten den Blick, was vielleicht gut war, denn bestimmt war er auf seine Aufgabe hier nicht gut zu sprechen. Seine Stimme hatte den Klang eines Mannes im Halbschlaf, als er fragte: „Herr Sorgfalt, wussten Sie denn nicht, dass Ihr Hund öfters zu Ihrem Nachbarn lief?“
„Kann überhaupt nicht sein. Das Tier gehört mir. Dem hätte ich die Ohren langgezogen. Niemals, nicht zu dem.“
„Und doch gibt es Zeugen, die das nachher bekräftigen werden. Könnte es nicht sein, dass der Hund wirklich entlaufen ist? Es kann doch sein, dass sich jemand diesen Umstand zunutze machte, um daraus ein Geschäft zu machen.“
„Mein Tier entläuft ebenso wenig, wie meine Frau entläuft. Zunutze? Na klar, der Knurr! Hat doch den Brief geschrieben.“
„Ich möchte noch darauf hinweisen“, sprach der Anwalt mit Mummelstimme, „dass es mehr als unwahrscheinlich ist, dass ein Erpresser seine eigene Unterschrift unter eine Forderung an seinen Nachbarn setzt.“
„Es sei denn, der Erpresser ist seines Erfolgs und der Verschwiegenheit des Nachbarn sehr sicher“, kam es spitz vom Tisch der Staatsanwältin.
Die Hausangestellte sagte aus, sie habe den Nachbarn gesehen, wie er was in den Kasten steckte, und danach war dieser Brief darin. Den habe sie Herrn Sorgfalt auf den Küchentisch gelegt, wie sie es immer mit der Post tat.
Frau Gernegroß erschien in einem leuchtend roten Kostüm, das graue Haar frisch gewellt. Sie betrat den Saal wie eine Primadonna zur Premiere, wandte den Kopf nach rechts und links, um nur ja zu sehen, ob auch jeder der wenigen Zuschauer ihren Auftritt würdigte.
„Also, ich weiß ja nicht. Ich hatte bei dem Herr Knurr immer so ein komisches Gefühl. Ganz allein da in dem alten Haus…“
Der Richter bat sie, sich nur an die Tatsachen zu halten.
„Ich hab es gesehen, hab es gesehen. Der Knurr stand in der Haustür, die war mal wieder sperrangelweit offen, und er lockte den Hund rein. Hatte einen Teller in der Hand.“
Knurrs Anwalt beugte sich vor: „Haben Sie den Hund danach wiedergesehen?“
„Nein. Nachher war die Tür zu, obwohl er sie sonst offen hat. Ich stehe auch nicht die ganze Zeit im Garten und sehe zu, was die Leute machen. Ich nicht.“
„Das heißt, Sie hätten gar nicht sehen können, wenn der Hund herausgekommen wäre.“
„Na, ist er doch nicht. Sonst wäre doch Herr Sorgfalt nicht von dem Knurr erpresst worden.“
Der Richter wies die Frau darauf hin, dass eine Schuldzuweisung nur dem Gericht zustünde.
„Am 24. April bin ich wieder nach Musselstedt gekommen“, führte die Zeugin weiter aus, „und da hab ich erst alles erfahren und hab auch gleich dem Herrn Sorgfalt gesagt, was ich gesehen habe.“
Niemand hatte weitere Fragen.
Der Richter rief einen Rentner als Zeugen der Verteidigung auf, der dem Haus von Knurr schräg gegenüber sein Grundstück hatte.
Der Rentner bezeugte, er habe den Hund auch nach dem 16. April gesehen. Er sei in das Haus von Herrn Knurr gegangen und auch wieder hinaus.
„Haben Sie den Hund dort auch zuvor schon gesehen?“, fragte Anwalt Block.
„Klar, ganz oft. Der Knurr füttert den doch dauernd. Kann mir nicht denken, dass der ihn klauen wollte. Kann mir auch nicht denken, dass der Sorgfalt für den Hund eine müde Mark an Erpresser gezahlt hätte. Wär doch ’n neuer Hund billiger gewesen, nicht wahr. Der Sorgfalt ist geizig wie nix. Wahrscheinlich hat er beim Hundefutter gespart, dass das Vieh schnorren ging.“
Mit hochrotem Kopf sprang Sorgfalt auf und schrie: „Mein Hund geht nicht zu anderen Leuten, der bekommt bei mir genug zu fressen! Der weiß, wo er hingehört. Der geht schon gar nicht zu so einem, wie dem…“
Der Richter fiel ihm mit einem strengen Verweis ins Wort, dass er beim nächsten Zwischenruf mit einem Ordnungsgeld zu rechnen habe.
„Ach“, wandte sich Anwalt Block mit seinen müden Augen wieder an den Zeugen, „Sie haben also zwischen dem 16. und 22. April den Hund mehrmals gesehen? Und warum haben Sie das nicht Herrn Sorgfalt, der ihn doch suchte, gesagt?“
„Als er bei mir geklingelt hat, hab ich den Hund nicht gesehen. Dann dachte ich: Fein, der ist ja wieder da. Ich gehe kaum raus, darum wusste ich von den Suchzetteln nichts. Übrigens fällt mir jetzt ein, dass ich gestern so einen Hund – war ganz bestimmt der Ferdi – vor dem Metzgerladen in der Wutenburger Straße gesehen habe. Da bettelt der auch oft.“
„So“, der füllige Verteidiger schien zu erwachen, „also war der Hund weder versteckt noch entwendet?“
„Nö, kann nicht sein.“
In diesem Moment wurde die Tür des Gerichtssaals aufgerissen und eine dünne, blasse Frau mit aufgelösten Haaren erschien, einen halbwüchsigen Jungen hinter sich herziehend. Der Richter kam nicht dazu, eine Frage zu stellen, der Gerichtsdiener fand keine Gelegenheit, das Eindringen zu erklären. Die Frau schrie: „Wir müssen hier eine Aussage machen! Der Mann ist unschuldig!“
Der Richter wirkte zunehmend ermattet, angesichts des Ausmaßes, das dieser alberne Prozess annahm. Jedoch nahm er die Personalien des Jungen auf, den die Mutter vor sich her geschubst hatte bis auf den Zeugenplatz. Der Junge hieß Mario Schoff, war Auszubildender im Rathaus Musselstedt und ein Großneffe der Frau Gernegroß. Er hatte zotteliges Rothaar, eine Unzahl Pickel im Gesicht und in diesem Augenblick alle jugendliche Aufsässigkeit verloren.
„Ich hab mir doch nichts bei gedacht. Ich hab gehört, dass der Sorgfalt seinen Hund sucht, und wollt dem eins auswischen. Der geht doch so mies mit dem Hund um. Jeder Ratte geht’s besser. War’n Witz. Ich hab den Zettel geschrieben und bin dann zum Knurr und hab gesagt, er muss das unterschreiben für die Abrechnung. Weiß doch, dass der nich lesen kann. Wissen wir ja alle im Amt. Ist aber auch nich der Einzige. So richtig kann’s der Bürgermeister ja auch nich. Na ja, der hat unterschrieben. Hab mir den Hund genommen un bin mit dem spazieren und so, hab ihn denn laufen lassen, weil ich ja nich nach Haus mit dem hätte kommen dürfen. Ich dacht, der Sorgfalt rennt zum Knurr und der Knurr gibt ihm was mit seinen großen Fäusten.“
In diesem Augenblick flog die Tür des Gerichtssaales erneut auf. Diesmal konnte der Gerichtsdiener nicht mal zum Sprechen ansetzen, denn ihm sprang ein schwarzes, sehr kräftiges vierbeiniges Wesen direkt vor die Brust, so dass er auf den nächsten Zuschauerplatz taumelte. Das Wesen gab ein lautes Gebell von sich und raste direkt zu Herrn Knurr, um sich sogleich an dessen Füßen niederzulegen und seine Hände ausgiebig zu lecken. Die erste Reaktion aller Anwesenden war kurzes Erstarren. Dann sprang Herr Sorgfalt von seinem Platz auf und schrie: „Ferdi! Hierher! Undankbares Vieh! Kommst du wohl!“
Darauf sprang von einer Zuschauerbank seine Frau auf, wälzte ihre beachtliche Masse Mensch nach vorn und jammerte: „Ferdilein, Ferdi! Oh je, liebst du uns nicht mehr?“
„Halt die Klappe, blöde Kuh“, fuhr ihr Mann sie an, „was willst du mit so’m Köter? Meinst du, der kann unser Haus bewachen? Frisst uns bloß die Haare vom Kopf.“
„Aber Willi-Schnulli, wie kannst du so von Ferdilein reden?“
Herr Knurr erhob sich, sein kleiner Kopf reckte sich aus dem großen Kragen: „Lieber Herr Sorgfalt, wenn es Ihnen Recht ist, dann zahle ich Ihnen 400 Euro für den Hund. 1 zu 1, 800 DM hat er doch mal gekostet. Zwar kann ich nicht schreiben, brauch ich ja nicht, bin ja Beamter nur, aber ich hab ein gutes Verhältnis zu diesem Hund.“
Es wunderte nun niemanden, dass Herr Sorgfalt so einverstanden war, dass er sogleich die offene Hand ausstreckte. Der Lehrling würde wohl eine Belehrung verdienen, wahrscheinlich reichte aber schon die Angst, die ihm seine Mutter mit vielen angedrohten Gefängnisjahren wegen des Briefes gemacht hatte.
Dies war wieder einer von vielen überflüssigen Fällen, stellte der Richter bei sich fest. Die Frau Staatsanwältin formulierte bereits, wie sie die Sache in ihr Buch einbinden könnte, und Rechtsanwalt Block schüttelte schnell seinem Mandanten die Hand und freute sich auf ein Mittagsschläfchen.
(c) Yvonne Habenicht, 2007 |