Bärchen Einsam

 

 

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Bärchen Einsam

 

Tump, der Bär,  wanderte mit hängendem Kopf durch den großen kanadischen Wald. Er war traurig und sehr einsam. Vorbei war es mit fröhlichen Kinderspielen mit dem Bruder und kuscheligen Abenden bei der Bärenmama. Nun war er groß genug, seinen Weg selbst zu finden. Seitdem freute ihn das Bärenleben nicht mehr.

Tump hatte Schwierigkeiten, ein eigenes Waldrevier zu finden, weil es ihm nicht lag mit den anderen Bären zu kämpfen. So wurde er überall davongejagt. Auch beim Fischfang war er nicht der Geschickteste. Die glibberigen Dinger entglitten seinen patschigen Tatzen und sausten pfeilschnell davon. Wenn andere Bären sich den Bauch mit saftigen Lachsen füllten, knurrte Tumps Magen, und er musste sich an die Blätter und Beeren halten.

Eines Nachts kam er an den Waldrand und sah im Tal die Lichter der kleinen Stadt. Tump staunte über die vielen Lichter und die Kästen aus Stein und Holz, von denen die Mutter erzählt hatte, dass die Menschen darin wohnten. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Berg hinunter zu der Stadt zu traben. Niemand begegnete ihm in der dunklen Nacht. Das machte ihm Mut, und er wagte sich auf die steinernen Wege der Stadt, wo ihm eine neue, fremde Welt begegnete.  

Hinter großen Glasflächen sah er viele unbekannte Dinge. Doch was war das? Hinter einem Fenster saßen doch wirklich ganz kleine, knuddelige Bären. Manche so groß wie Menschenkinder, manche so klein wie ein Zeh von Tumps Tatze. Leise brummend schüttelte er den schweren Kopf und trottete nachdenklich in den Wald zurück. Der Ausflug hatte ihn neugierig auf die Menschen gemacht, und so pirschte er sich nun oft ins dichte Unterholz nahe den Wegen, auf denen die Menschen spazierten. Seltsame Wesen waren die Menschen, ganz ohne Fell, so dass sie ihre Haut sogar im Sommer unter buntem Stoff versteckten. Manchmal waren sie - besonders die kleinen - so laut, dass es ihm in den Ohren schmerzte. Aber Angst machten sie ihm nicht, wenngleich die Bärenmama einst vor ihnen gewarnt hatte.

Auch hinter das Geheimnis der kleinen Bären war er jetzt gekommen. Die Menschenkinder trugen sie mit sich herum oder schoben sie in kleinen Wagen vor sich her. Es machte ihn schrecklich neidisch, wenn er sah, wie sie ihre Teddys herzten, liebkosten und mit ihnen spielten. Es musste sehr schön sein, so lieb gehabt zu werden, geradezu wie früher, als er ein Bärenbaby war und die Mama ihm zärtlich das Fell leckte. Auch Fische fangen und Beeren sammeln mussten diese süßen Teddys bestimmt nicht. Sein Neid auf die winzigen Artgenossen wuchs von Tag zu Tag. Er betrachtete sich im klaren Flusswasser und stellte grimmig fest, dass er viel zu groß war. Nein, in die Puppenwagen passte er nicht, und kein Kind hätte ihn im Arm tragen können. Der einsame Tump weinte bittere Tränen.

In einer Nacht, als der Vollmond seine Bahn zog, schlich er sich wieder in die Stadt. Tieftraurig sah er auf die weichen, kleinen Kameraden hinter der Glasscheibe und dachte sehnsüchtig: Ach, wäre ich doch einer von ihnen. Der Mond sah auf den Bären hinunter, und dessen Kummer rührte ihn. Er rüttelte die Fee, die neben ihm auf einer zartgrauen Wolke schlummerte: „He, du Schlafmorschel, wach auf. Da hat einer Kummer. Los, rühr dich. Siehst du den Bären nicht dort unten, wie ihm die dicken Tränen ins zottige Fell tropfen?“

Die Fee richtete sich schlaftrunken auf. „Oh, der Arme!“, rief sie und war schon auf dem Flug zur Erde.

Tump wusste nicht, wie ihm geschah, als plötzlich inmitten eines hellblauen Lichts ein wunderschönes Mädchen mit wehendem Goldhaar vor ihm stand. In der Hand hielt sie einen mit funkelnden Diamanten besetzten Stab.

„Ich bin die Wunschfee, die Freundin des großen Mondes“, sprach die Fee mit glockenheller Stimme. „Wir haben deine Tränen gesehen, und ich will dir gern helfen. Ich schenke dir die Erfüllung eines Wunsches, was es auch sei. Doch entscheide schnell, die Zauberstunde ist kurz.“

Der Bär wagte seinen Augen und Ohren nicht trauen. Träumte er? Doch das leuchtende Mädchen lächelte all seine Bedenken fort, und er wagte, seinen Wunsch zu äußern.

„Fee, lass mich so ein kleiner Bär sein bei einem Menschenkind, das mich liebt und umsorgt. Schau, wie einsam ich bin in dem großen Wald. Ich bin nicht stark genug für ein eigenes Revier und nicht geschickt genug zum Fischfang. Bevor der Winter kommt, werde ich elendig verhungern.“

„So sei es“, sprach die Fee. Sie schwenkte ihren Diamantenstab, dass es wie Funkenstaub sprühte, und flüsterte die Zauberworte: „Bärchen, Bärchen einsam, kleiner Teddy gleich im Arm.“

Noch ganz wirr von der wundersamen Erscheinung, fühlte Trump wie er zu schrumpfen begann und schließlich federleicht durch die Straßen schwebte bis vor ein niedriges, altes Haus.

Am frühen Morgen weckte der kleine Ronny seine Eltern mit einem begeisterten Aufschrei. Er hatte wie jeden Morgen für den Vater die Zeitung hereinholen wollen, die der Bote vor die Tür legte. Seit zwei Jahren schon las der Vater allmorgendlich die Stellenanzeigen, ohne eine neue Arbeit gefunden zu haben. Oft waren die Eltern sehr traurig, so arm zu sein, denn das wenige Geld reichte vorn und hinten nicht. Ronny wusste, dass die Eltern ihm gern so schönes neues Spielzeug gekauft hätten, wie die anderen Kinder es hatten, oder ein nagelneues Kinderrad. Seit Wochen hatte er sich schrecklich in die Teddybären in dem Spielzeugladen in der Hauptstraße verguckt. Doch die schönsten Teddys waren sehr, sehr teuer.

„Mam, Dad, schaut doch, was hier vor der Tür war. Ein Teddy! Ein ganz, ganz süßer Teddy.“

Die Eltern richteten sich schlaftrunken im Bett auf, als der Junge ins Zimmer gestürmt kam.

„Den wird ein Kind verloren haben“, sagte der Vater streng, „wir müssen in den Nachbarhäusern fragen.“

„Aber, John, wie kann ein Kind einen so großen Teddy verlieren“, widersprach die Mutter, „vielleicht hat ihn jemand auf dem Jahrmarkt gewonnen und nicht brauchen können. Leute, die keine Kinder haben. So große Bären gibt es doch nur auf dem Jahrmarkt.“

„Oder mit uns armen Schluckern hat mal wieder jemand Mitleid und denkt, wir können unserem Jungen nichts kaufen“, sagte der Vater verärgert.

Ronny aber stand da und presste den Bären an seine Brust: „Es ist aber mein Bär. Er war vor unserer Tür, ich hab ihn gefunden. Er gehört nur mir. Bitte, bitte.“

„John, sieh doch“, redete die Mutter auf den Vater ein, „das Kind freut sich doch so. Es wird so sein, wie ich sage, der Bär ist doch ganz neu. Leute haben ihn gewonnen und können nichts damit anfangen.“

Der Vater zuckte die Schultern. „Von mir aus, Ronny, behalt ihn eben.“

Von da an genoss Tump, den Ronny nun „Micky“ nannte, alle Vorzüge eines geliebten Teddys. Er war nie lange allein, durfte in Ronnys Bett schlafen und sogar mit am Tisch sitzen. Dafür nahm er in Kauf, dass er sich nicht mehr allein bewegen konnte und nur brummte, wenn sein kleiner Besitzer ihn hin- und herbewegte. Auch verspürte er weder Hunger noch Durst, was er gut fand, denn er sah wohl, dass die Mahlzeiten für einen Bären zusätzlich nicht gereicht hätten. Viele Monate glaubte der Bär, er habe das große Los gezogen.

Doch dann wurde alles anders, denn Ronny kam in die Schule. Stundenlang saß nun der Bär in einer Zimmerecke neben einem abgegriffenen Stoffesel, einer einarmigen Puppe, einigen alten Autos und einer Kiste mit Legosteinen. Wenn der Junge nach Hause kam, blätterte in Büchern und kritzelte unverständliche Zeichen in kleine und große Hefte. Danach lief er hinaus zu seinen neuen Freunden. Und wieder fühlte sich Tump sehr, sehr einsam.

Nun begann er, wehmütig an den Wald, die Vögel, Rehe, Schlangen, die saftigen Beeren zu denken. Schmerzliches Heimweh ergriff ihn. Wie dumm und leichtfertig war er gewesen, das Waldleben gegen ein Spielzeugdasein einzutauschen. Bestimmt hätte er noch alles lernen können, auch den Fischfang. Er verfluchte die Fee, die ihm seine Beweglichkeit und seine Stimme genommen hatte, so dass er nicht mal nach ihr rufen konnte. Selbst Tränen konnte er als lebloser Teddy nicht vergießen, um neuerlich das weiche Herz des Mondes zu rühren.

Der Winter kam und die Weihnachtszeit. Wenn es sich aber trifft, dass am Heiligabend zur Mitternacht der Vollmond leuchtet, ist die Stunde gekommen, in der die Puppen und Spieltiere zum Leben erwachen. Sie können miteinander tanzen, lachen, weinen und reden, bis die Uhren einmal schlagen. Tump-Micky begann herzzerreißend zu weinen. Anklagend hob er sein Gesicht dem runden Mond entgegen.

„Oh, Mond, lieber, lieber Mond. Siehst du meine dicken Tränen nicht? Schick die Fee, die gesagt hat: Bärchen, Bärchen einsam, kleiner Teddy gleich im Arm.“

Wenn aber einer ihrer Zaubersprüche von der Erde wortgetreu zu ihr dringt, muss die Fee erscheinen und den Zauber zurücknehmen. So flog sie durch die sternenklare Winternacht hinunter ins verschneite Kanada. Ihr Strahlen tauchte das Kinderzimmer in helles Licht, als sie rief: „Wer den Spruch gemerkt und spricht, sei frei von Wandlung und Zauberei. Flieg davon und geh in deine alte Haut. Doch bedenke, kein Zauberwunsch wird dir mehr erfüllt in diesem Leben.“

Der Zauberstab sprühte tausend Funken und die durchsichtige Feenhand ergriff  die Tatze des Teddys. Sie flog mit ihm über die Häuser hinweg, über den Fluss und dunkle Baumwipfel, bis zu einer Höhle im Wald, wo sie ihn niedersinken ließ. Tump begann sich zu dehnen und zu wachsen, bis ihn fast Furcht ergriff vor der eigenen mächtigen Größe. Doch dann streckte er sich und brummte laut und glücklich in die Frostluft, die nach Freiheit und Leben schmeckte. Bald ergriff ihn tiefe Müdigkeit, denn kein Bär kann zur Winterszeit lange die Augen offen halten. Es zog ihn unwiderstehlich zu der Höhle. Wohlig rollte er sich zusammen, gähnte herzhaft und schlief, bis die Frühlingssonne ihn weckte.

Unter den Menschen in der Stadt aber sprach es sich bald herum, dass im Wald ein Bär lebte, der, anders als seine Artgenossen, zahm und Kindern sehr zugetan war. So tat ihm niemand etwas zu Leide und er lebte ein langes, zufriedenes Bärenleben.

  Yvonne Habenicht, 2003

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