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„Papa, hier ist hier ist kein Großstadtdschungel. Sie hat hier einen Bekannten, wohl noch jemand von früher. Vielleicht sind sie was essen gegangen oder so.“

„Aber doch nicht um die Zeit.“

Lydia dachte, meine Güte, Papa führt sich auf, als sei Oma eine 13jährige, auf die man aufpassen muss, damit sie sich nicht vor der Zeit ein Kind anhängen lässt. Sie sagte aber nur: „Wie gesagt, es ist Sommer und hell. Sollen wir anrufen, wenn sie nach Hause kommt? Bestimmt ist sie jeden Moment hier.“

Jörg fand es schade, die freudige Überraschung seiner Mutter nicht gleich mitteilen zu können. Klar, auch deshalb hatte er überreagiert. Mutter konnte machen, was sie wollte.

„Was machen wir nun?“, fragte Leon. „Wollen wir doch lieber hier essen und warten, bis Oma kommt?“

„Ach was. Ich gehe jetzt duschen. Wenn sie dann nicht da ist, leg ich ihr einen Zettel hin, dass sie Papa anrufen soll.“

„Dann denkt sie doch, es ist was passiert.“

„Ich schreibe dazu, dass er eine schöne Überraschung für sie hat.“

Als sie gegen Mitternacht heimkamen, lag der Zettel noch am gleichen Fleck. Das Haus war still und dunkel. Das wäre nichts Besonderes, weil Helma um die Zeit ja geschlafen hätte. Aber in diesem Fall hätte sie bestimmt noch etwas auf den Zettel geschrieben. Zum Beispiel, wie sie sich auf das Wiedersehen freute oder was für eine tolle Überraschung das war, und vielleicht wäre sie vor lauter Aufregung auch noch gar nicht ins Bett gegangen.

Oben war alles still. Lydia schob vorsichtig Omas Schlafzimmertür auf. Das Leisetreten hätte sie sich sparen können, denn das Bett war unberührt, die Badezimmertür noch immer offen ohne jedes Zeichen, dass dort zwischenzeitlich jemand gewesen wäre, und in ihrem kleinen Wohnzimmer war die Oma auch nicht. Auf dem Couchtisch lag eine aufgeschlagene Zeitung. Daneben stand eine Kaffeetasse vom Morgen, in der sich ein dunkelbrauner Rand gebildet hatte.

Die beiden waren ratlos. Am Ende kamen sie zu dem Schluss, es müsse etwas passiert sein.

„Vielleicht weiß dieser Bekannte was. Wie hieß der noch mal?“, fragte Leon.

„Mist, ich hab's vergessen. Irgendwas mit Or... oder Bor... Nein, weiß nicht mehr. Wir suchen mal oben, ob wir eine Adresse oder eine Telefonnummer finden.“

Nichts dergleichen fand sich. Schließlich stiegen sie wieder ins Auto und fuhren zum Polizeirevier. Lydia war dicht daran, hysterisch zu werden. Sie malte die schrecklichsten Bilder aus. Alte Frauen wurden überfallen für ein paar Euro, sie wurden leicht Opfer von Verkehrsunfällen, Schlaganfällen, Herzinfarkten. Ihr Großmutter könnte jetzt ganz allein irgendwo auf der Intensivstation oder in einem Parkgebüsch liegen. „Ist dir nicht auch aufgefallen, dass sie manchmal so komisch war in letzter Zeit? All diese plötzlichen Kleiderkäufe und so, und dann singt sie dauernd vor sich hin. Hat sie nie gemacht. Ich sag dir, sie wird durcheinander. Das kann ganz schnell gehen. Denk an die Frau Schneider, die plötzlich total verwirrt war. Die fand am Ende auch nicht mehr nach Hause.“

„Unsinn, Frau Schneider war schon immer ziemlich plemplem. So schnell geht das nicht.“

„Doch, neulich stand in der Zeitung, dass ein alter Mann aus dem Heim weggelaufen ist. Den musste die Polizei suchen, der wusste nicht mehr, wo er war.“

„Wir rufen jetzt erst bei den umliegenden Krankenhäusern an. Sind ja nicht so viele.“

Die Anrufe ergaben nichts.

„Und dieser Mann, mit dem sie sich trifft. Was ist, wenn mit dem was nicht stimmt?“

„Der war doch sehr umgänglich. Wir fanden ihn alle nett und haben uns gefreut, dass Oma mal rauskommt.“

„Vielleicht hat er es nur auf ihr Geld abgesehen.“

„Dann hätte er eingebrochen und nicht die Oma entführt.“

„Sie hat immer all ihre Karten bei sich. Hab oft gesagt, das ist Leichtsinn. Hat ihr womöglich eins über den Kopf gegeben, und plündert jetzt die Konten.“

„Oma ist keine Millionärswitwe.“

„Sind schon Leute für weniger umgebracht worden.“

„Mensch, Lydia, das ist ein alter Mann. So wie Oma. Der schlägt doch niemand zusammen. Der ist genau wie Oma froh über ein bisschen Gesellschaft. Du hast doch gehört, er hat ein Haus und eine große Familie, alles ganz anständig.“

„Er kann uns und meiner Großmutter aber auch was vorgemacht haben.“

Nur in besonderen Fällen, so teilte ihnen der Polizeibeamte mit, würde man so schnell die Suche nach einem Erwachsenen aufnehmen. Zum Beispiel, wenn Gefahr für Leib und Leben oder Selbstmordabsichten zu vermuten sind.

„Aber, Sie müssen etwas unternehmen!“, rief Lydia aus, die langsam ganz außer sich geriet vor Verzweiflung. „Meine Großmutter, Sie müssen wissen, sie war schon ein wenig seltsam in letzter Zeit.“

„Zum Beispiel? Können Sie dafür Anhaltspunkte schildern?“

Ach je, wie schildert man es, wenn sich eine Oma plötzlich anders benimmt als in den Jahrzehnten zuvor. „Nun, ich glaube, ihre Persönlichkeit hat sich verändert. Sie ist zum Beispiel einmal abends in meinem Mantel einfach weggegangen und erst in der Nacht nach Hause gekommen. Und sie zieht sich immer mehr von uns zurück. Und sie hat mal so einen komischen Mann angeschleppt, von dem wir nicht wissen, was er von ihr will. Ich meine, vielleicht wurde ihr was angetan. Sie war immer abends zu Haus. Eine alte Frau läuft doch nicht nachts durch die Stadt, wenn sie alle beieinander hat.“

„Gibt es handfeste Anhaltspunkte, dass Ihre Großmutter an Zuständen der Verwirrtheit leidet? Ärztliche Aussagen.“

„Da geht sie schon lang nicht mehr hin, zum Arzt. Aber ja, sie war zunehmend verwirrt. Sie bekommt oft nicht mit, was wir sagen, ist völlig abwesend und redet manchmal wirr.“ Hilfesuchend sah Lydia zu Leon. Ihr war bewusst, dass sie übertrieb. Wenn es jedoch die einzige Möglichkeit war, eine Suche zu begründen, so würde sie notfalls noch mehr vom Himmel herunterlügen.

Leon nickte zustimmend und bezeugte, auch ihm seien all die Veränderungen aufgefallen, und es gäbe wirklich Anlass zur Sorge. Die Krankenhäuser hätten sie schon angerufen, und wenn die alte Dame bei einer ihrer Bekannten wäre und es ginge ihr nicht gut, hätten diese angerufen, wenigstens etwas auf dem Anrufbeantworter hinterlassen.

Am Ende nahm der Beamte alles auf. Man würde angesichts der möglichen Gefahr für die verschwundene Person die Suche einleiten. Auf sein neuerliches Drängen auf Hinweise auf den genannten Mann konnten jedoch Lydia und Leon noch immer nicht mehr als eine Personenbeschreibung angeben. Keine Telefonnummer, kein Name, keine Adresse. Immerhin wäre es auch möglich, dass sich die beiden Alten zusammen verirrt hatten oder ihnen gemeinsam etwas zugestoßen sei.

Der Beamte bat Lydia und ihren Mann, am nächsten Morgen bei allen Bekannten ihrer Großmutter anzurufen und sich sofort zu melden, falls ihnen noch der Name des Mannes einfiel oder ein anderer Hinweis. Die Suche würde dann am Morgen aufgenommen, wenn sich bis dahin kein Anhaltspunkt für einen Aufenthalt der alten Dame fand.

Auf der Rückfahrt stritten sie darüber, ob sie Lydias Vater anrufen sollten. Leon meinte, er mache sich bestimmt schon Sorgen, weil seine Mutter sich nicht gemeldet habe, und sie müssten es ihm sagen. Lydia sagte, Leon habe leicht reden, es sei ja nicht sein Vater. Er solle halt noch denken, Oma habe keine Zeit zum Anrufen gehabt oder den Zettel nicht gesehen. Sie wolle sich jetzt nicht noch seine Vorwürfe anhören.

„Was denn für Vorwürfe, ist doch nicht deine Schuld.“

„Er wird sagen, wir kümmern uns nicht richtig.“

„Aber er weiß, dass wir arbeiten gehen. Oma ist kein Baby. Wer hat denn mit so was rechnen können.“

„Mit was denn? Du weißt doch gar nicht, mit was wir nicht rechnen konnten.“

„Eben, vielleicht klärt sich alles auf.“

War so dahin gesagt, denn eigentlich war Leon selbst nicht sehr optimistisch, was das Ausbleiben einer alten Frau mitten in der Nacht bedeuten konnte. Noch einmal durchwühlten sie jeden Winkel in Omas Wohnung nach Anhaltspunkten, was ihren Bekannten betraf. Wieder fanden sie absolut nichts.

Schließlich meinte Leon, keinem sei damit gedient, wenn sie sich die ganze Nacht den Kopf zerbrechen würden. Also gingen sie zu Bett. Leon drehte sich auf die Seite und war sofort eingeschlafen. Lydia starrte mit weit geöffneten Augen auf den Fenstervorhang, durch den schwach das Licht der Straßenlaterne schimmerte. All die Schreckensbilder, die sie vorhin im Auto vor Leon ausgebreitet hatte, gingen ihr wieder durch den Kopf. Sie verübelte ihrem Mann den Schlaf. Hatte der kein Gewissen?

Das ihre jedenfalls plagte sie entsetzlich. Sie wusste selbst, es war unmöglich, den ganzen Tag auf die Oma aufzupassen. Jedem Menschen konnte immer und überall etwas passieren. Aber sie war immerhin schon alt, auch wenn sie stets so auf fit machte. Ihre Augen waren nicht die besten. Sie konnte vielleicht die Entfernungen zu nahenden Autos nicht einschätzen. Und wer wusste, ob sie inzwischen nicht auch schon nachtblind war. Sie hätten sie längst zu einem Augenarzt bringen sollen, wenn sie selbst nicht darauf kam. Auch wenn sie in keiner Klinik lag, konnte jemand Fahrerflucht begangen haben, und sie lag im Dunklen in einer einsamen Straße.

Sie als Enkelin hätte sie auch viel öfter begleiten sollen, wenn sie zum Einkaufen in die Stadt ging. Sie hätten mal mit ihr rausfahren sollen zum Kaffee oder Eis oder zum Essen, damit sie nicht auf die Idee kam, sich vor Einsamkeit mit undurchsichtigen, fremden Männern zu verabreden. Man hätte viel besser auf die kleinen Zeichen achten sollen, die bedeuten konnten, dass Oma senil wurde. Dieses ganze Aufputzen plötzlich, wie sie in ihrem Mantel ausging ... Das war auch am späten Abend gewesen.

Draußen dämmerte der Morgen, die Vögel begrüßten vielstimmig den neuen Tag. Plötzlich schreckte Lydia aus einem unruhigen Halbschlummer auf, denn ihr war auf einmal wieder der Name von dem Mann eingefallen. Sie rüttelte ihren schlummernden Gatten wach, der im Traum gerade versucht hatte, die Oma aus der Umklammerung eines Rudels von Polizisten zu befreien.

Der schimpfte erst, so grob aus dem Schlaf gerissen zu werden. „Das fällt dir nun jetzt erst ein.“ Dann sauste er aber ins Wohnzimmer zum Telefon.

So kam es, dass es zur nachtschlafenden Zeit von 5.30 Uhr in der Früh bei Mario Torgati an der Tür klingelte. Erst wusste er nicht recht, was ihn geweckt hatte. Dann wurde die Klingel nochmals und sehr anhaltend gedrückt. Nun schreckte auch Helma aus dem Schlaf. Sie fuhr im Bett hoch, rieb sich die Augen. „Wer ist denn das? Deine Urenkel?“

Mario hatte sich mühsam aus dem Bett geschraubt. „Na, hoffentlich nicht. Dann wär was passiert.“

Während er zur Tür ging, was ihm nicht sehr schnell gelang, weil morgens das Bein stets besonders steif war und stark schmerzte, klingelte es immer wieder. Der Anblick von zwei Polizisten machte ihn sprachlos. Marios erster Gedanke war: Es ist was passiert oder einer von denen hat was angestellt.

„Herr Torgati?“

„Ja, was gibt es?“ Sonderlich freundlich klang seine Stimme nicht.

„Entschuldigen Sie die frühe Störung. Kennen Sie eine Frau Sandler?“

Er nickte verwirrt. Mit dieser Frage war nicht zu rechnen gewesen. Helma war kaum zuzutrauen, dass sie gestern noch schnell eine Bank überfallen oder einen Menschen niedergeschlagen hatte.

„Können Sie uns vielleicht etwas über ihren Verbleib sagen. Sie wurde letzte Nacht als vermisst gemeldet.“

Mario sah die Polizisten an, als zweifle er ernsthaft an derem Verstand. „Vermisst? Frau Sandler ist bei mir. Was ist das für ein Unsinn? Darf sich ein Bürger hier nicht mehr nach Gutdünken bewegen, ohne dass ihm die Polizei hinterherschnüffelt?“

Er war jetzt richtiggehend wütend. Aber die Polizisten wollten so schnell noch nicht von ihrem Auftrag lassen, eine vermisste Oma aufzuspüren.

„Dann würden wir uns gern davon überzeugen und auch davon, dass sie bei bester Gesundheit ist.“

„In unserem Alter ist man am Leben und nicht bei bester Gesundheit, meine jungen Herren, und erst recht nicht, wenn man um diese Zeit geweckt wird“, erwiderte Mario mit nicht überhörbarem Groll. Aber er wandte sich doch um und rief: „Helma, kommst du bitte mal? Hier ist die Staatsgewalt und will sehen, ob ich dir vielleicht einen Finger abgebissen habe.“

Eigentlich hatte Mario auf Helma den Eindruck eines gesunden Geistes gemacht und gestern Abend auch den Eindruck eines sehr gesunden Körpers, jedenfalls an bestimmten Stellen. Wenn das ein Witz war, dann ein sehr schlechter. Falls um die Zeit vielleicht jemand seiner Familie da klingelte und er sie in seinem Bademantel vorführen wollte, dann hatte er sich getäuscht.

Sie rührte sich nicht aus dem Bett und rief: „Alles in drei Stunden, wenn ich ausgeschlafen und angezogen bin. Wer ist denn überhaupt da?“

Nun antwortete nicht Mario, sondern eine Männerstimme: „Frau Sandler, Entschuldigung, Polizei. Uns liegt eine Suchmeldung nach Ihnen vor. Kommen Sie bitte, damit wir uns überzeugen können, es geht Ihnen gut und hat alles seine Richtigkeit.“

Vor sich hinschimpfend, wickelte sich Helma nun doch in den viel zu großen Bademantel von Mario, der im Schlafzimmer auf einem Stuhl lag. Wieso wurde sie gesucht und warum? Konnte doch nur ein Irrtum sein.

Mit wirrem Haar, den grünen Bademantel gerafft, um nicht darüber zu stolpern, und in Marios großen Pantoffeln kam sie an die Tür geschlürft und musste feststellen, dass dort wirklich die Hüter von Recht und Ordnung standen. Sie verstand die Welt nicht mehr. Jedenfalls so lange nicht, bis sie darüber aufgeklärt wurde, dass ihre Enkelin und deren Ehemann sich in der Nacht Sorgen wegen ihres Ausbleibens gemacht hatten.

„Ich bin doch keine Minderjährige, die sich zu Hause an- und abmelden muss“, schimpfte Helma.

Der Polizist wirkte sichtlich betreten. „Seien Sie froh“, sagte er, „dass Ihre Familie sich noch Sorgen um Sie macht. Anderswo kümmert sich keiner um die alten Angehörigen.“

Mario hatte die Nase gestrichen voll. „So, Sie konnten sich von der Vollständigkeit und Zurechnungsfähigkeit meiner Freundin überzeugen. Nun würden wir gern wieder ins Bett. Einen schönen Tag noch.“ Und er schlug den Uniformierten die Tür vor der Nase zu.

Die kicherten in sich hinein, als sie wieder im Auto saßen. „Na, die alte Dame scheint noch sehr gut orientiert zu sein. Die wurde wohl mächtig unterschätzt.“

 

Mittags kam Helma nach Hause. Sie war noch immer reichlich wütend über das Theater mit der Polizei, welches Lydia und Leon in Gang gesetzt hatten.

„Sagt mal, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Ich bin doch nicht dement. Wie könnt ihr so einen Aufriss machen? Ich schlafe, wann und wo ich will, und kann noch immer tun und lassen, was ich will. Früh um kurz nach 5 haben die uns aus dem Bett geklingelt!“

Als sie vom Auslöser der ganzen Aktion, nämlich Jörgs Anruf, hörte, war sie allerdings nur noch darauf erpicht, so schnell wie möglich mit ihm von Angesicht zu Angesicht zu sprechen. Das wäre nun wiederum für ihren Sohn eine unmenschliche Zeit gewesen, denn jetzt war es bei ihm gerade erst 6 Uhr vorbei. Helma brummelte etwas über die blöden Zeitzonen, die sich kein Mensch merken könne, und ging hinauf.



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