Leseproben meiner Bücher

Hier könnt ihr einen kleinen Blick in meine Bücher werfen. Vielleicht macht das ja neugierig?





    

„Keine Spur von Mirko“, eine kleine Leseprobe zu diesem Buch:

 

 

Wie es begann

 

Keinem von ihnen hatte sie je geglaubt. Nicht den Ärzten auf der Entbindungsstation, nicht den Psychiatern in der psychiatrischen Klinik in den Monaten danach und schon gar nicht ihrer Familie. Nach wie vor war sie der festen Überzeugung, dass ihr Sohn am Leben war. Sie hatte gespürt, wie sie ihn geboren hatte, gespürt, dass er lebte und seinen ersten Schrei gehört. Dann hatte man ihr das Kind gestohlen, geraubt, fortgebracht.

Alle hatten behauptet, das Kind war tot. Es habe überhaupt nicht gelebt und auch nie geschrien. Aber Julia wusste es besser. Eine Mutter wusste, ob sie ein lebendes oder ein totes Kind gebar, und eine Mutter wusste auch, ob sie tatsächlich oder im Traum – wie man ihr weismachen wollte – ihr Kind nach der Geburt schreien hörte. Sie hatte das tote Kind nicht gesehen. Man sagte ihr, sie habe nur geschrien, man habe ihr starke Medikamente geben müssen. Ja, sie hatte geschrien, aber weil alle gelogen hatten, weil ihr Kind fort war. Bis zur Entbindung war alles normal gewesen. Jede Untersuchung hatte bestätigt, dass es dem Kind gut ging. Sie hatte auf dem Ultraschall die kleinen Ärmchen und Beinchen gesehen, den Herzschlag gehört und hatte seine Bewegungen gespürt. Julia war Heilpraktikerin, davor Krankenschwester gewesen, sie wusste doch Bescheid, es gab keinen vernünftigen Grund für eine plötzliche Totgeburt.

Sie war der festen Überzeugung, dass Max dahintersteckte. Er hatte das Kind von Anfang an nicht gewollt, hatte auf sie eingeredet, es abtreiben zu lassen. Er hatte ja schon zwei Kinder und eine Frau. Als Julia darauf bestand, das Kind zu bekommen, hatte er ihr gedroht, sich schließlich von ihr abgewandt. Max hatte genügend Einfluss, ein Kind rauben und verstecken zu lassen. Einfluss und Geld. Geld hatte sie auch, das Erbe der Mutter und die Aktienpakete ihrer Lieblingstante. Wenn sie als Heilpraktikerin tätig war, verdiente sie gut. Aber bei weitem war das nicht mit dem Vermögen eines Mannes wie Max zu vergleichen. Und er hatte ja nicht Geld, sondern viel Einfluss. Es würde schwer sein, ihm auf die Schliche zu kommen. Aber Julia war überzeugt, es zu schaffen, sie würde ihren Sohn wiederfinden, gleich, wo man ihn verborgen hielt.

All die Jahre danach lebte sie nur für die Suche nach ihrem Kind. Seit sie die Psychiatrie verlassen hatte, hatte sie immer wieder die Wohnorte gewechselt, immer wenn sie meinte, es gäbe Anzeichen, in diesem oder jenem Ort könne ihr Kind leben. Es war eine planlose Suche, die verrückt und hoffnungslos anmutete. Sie sah kleine Jungen, die ihr ähnlich sahen, bemühte sich, mit den Müttern ins Gespräch zu kommen und Näheres zu erfahren. Doch stets musste sie nach kurzer Zeit schon feststellen, dass diese Kinder nicht in jener Kieler Klinik zur Welt gekommen waren, dass sie von Nahem besehen eben doch anders aussahen und entweder jünger oder älter waren als ihr Sohn. Dann zog sie weiter, von Rastlosigkeit getrieben. Es gab so viele Kinder.

Trotzdem war sie hundertprozentig sicher, ihren Sohn zu finden, ihren kleinen Benjamin, den man ihr genommen hatte. Zu ihrer Familie hatte sie keinen Kontakt mehr. Jene, die noch lebten, hielten sie schlichtweg für verrückt. „Die hat das mit der Totgeburt nicht verkraftet“, hieß es, „da ist nichts zu machen, hat den Verstand verloren“. Keiner hatte Lust, sich ihre ewigen Tiraden über Benjamins Entführung und seinen letzten Geburtstag anzuhören.

Das tat sie nämlich, all seine Geburtstage feierte sie. Sie buk einen Schokoladenkuchen, steckte die entsprechende Anzahl Kerzen darauf, baute rings herum kleine Geschenke auf, Bilderbücher und Bausteine, Plüschtiere, Holzeisenbahnen, Malstifte… Dann saß sie in der jeweiligen Wohnung oder einem Hotelzimmer am Tisch und sang Kinderlieder für ihr verschwundenes Kind. Und in diesem Frühling war es schon der sechste Geburtstag gewesen, den sie so verbracht hatte.

Doch diesmal war sie ganz sicher. Die Geschichte stimmte von Anfang bis Ende. Sie hatten sich durch Zufall kennen gelernt, als sie, wie so oft, mit einem Buch auf dem Schoß an einem Spielplatz saß. Die junge Frau saß neben ihr. Der Junge spielte mit anderen Kindern. Die junge Frau hatte angenommen, Julia sei auch mit einem Kind hier. Sie waren ins Gespräch gekommen und Julia hatte erfahren, dass der Junge im April sechs Jahre geworden war. Im April, wie ihr Benjamin.

Während der ganzen Zeit, in der sie mit der Frau redete, beobachtete sie das Kind. Die Frau sah dem Jungen überhaupt nicht ähnlich. Er war strohblond, während die Mutter eine Brünette war. Auch seine Gestalt hatte nichts von der leicht gedrungenen Figur der Mutter. Er war langgliedrig und hatte eine kleine gerade Nase mit vielen Sommersprossen, genau wie Julia. Sie versuchte, es unauffällig zu machen, aber sie konnte kaum noch die Augen von dem Kind wenden. Sie prägte sich jede Einzelheit seines Gesichts, seines Körpers, seiner Bewegungen, seiner Hände und Füße ein. Die Frau fragte, welches Kind das von Julia sei, und Julia meinte, es sei zurzeit bei den Großeltern, sie habe es einfach lustig gefunden, den Jungen beim Fußballspiel zuzusehen. Sie trafen einander noch zwei Mal wieder, schon, weil Julia nun täglich hier auf der Bank saß. Im Laufe der Gespräche erfuhr sie, dass Mirko ein Adoptivkind war und die Familie früher in Kiel gelebt hatte. „Aber er ist wie ein eigenes Kind für uns“, sagte die Frau, „er war ja ein Baby, wir hatten Glück.“

Julias Herz schlug so heftig, dass sie meinte, die Frau neben ihr müsse es hören. Das musste ein Wink des Schicksals sein, noch mehr Fragen wollte Julia nun nicht stellen. Es könnte auffallen und alles verderben. Dafür ging sie daran Mirkos Familie zu beobachten, Gewohnheiten und Tagesabläufe zu erkunden. Sie tat es unauffällig, trug in der Regel einen Hut, war unterschiedlich gekleidet. Zwei Wochen später zog sie aus Pennewitz fort und richtete sich in einem Dorf im Landkreis Sonneberg eine Wohnung und eine kleine Praxis ein. Sie bewohnte die untere Etage eines kleinen Hauses. In der oberen lebte ein stark schwerhöriger, ehemaliger Dozent für Musikgeschichte. Die ersten Patienten konnte sie an einer Hand abzählen. Doch das spielte auch keine Rolle, denn häufig fuhr sie nach Pennewitz, um weiter die Familie Wohlfeil zu beobachten, die Menschen, bei denen der Junge lebte. Sie tätigte auch eine ganze Reihe von Einkäufen in den unterschiedlichsten Städten und Orten. Nie mehr als eine Besorgung in einem Geschäft und auch nicht an einem Ort.

Mirkos Mutter vergaß die kurze Bekanntschaft schnell wieder. Sie glaubte, die Frau nie wiedergesehen zu haben. Sie konnte nicht wissen, wie oft sie ihr über den Weg gelaufen war. Julia war mal eine Dunkelhaarige mit Brille, mal durch eine rote Perücke verändert. Mit genügend Geschick konnte sie sogar Gang und Stimme verstellen. Sie wollte nichts dem Zufall überlassen.

 

Der kleine Mirko verschwand am 10. Oktober des Jahres 2000, knapp zwei Wochen nach seiner Einschulung. Es schien, als habe er sich im elterlichen Garten in Luft aufgelöst, während urplötzlich ein heftiger Wolkenbruch und dichte Hagelschauer niedergegangen waren. Die Eltern hatten bei dem Wetter den Jungen im Haus vermutet und waren erst stutzig geworden, nachdem er auf ihre Rufe nicht reagierte. Im strömenden Regen machten sie sich im Garten auf die Suche an allen möglichen Stellen, wo man unterschlüpfen konnte. Doch vergeblich.

Dann verständigten sie die Polizei. Falls irgendwo in Nähe des Zaunes nach dem Unwetter Reste von Fußspuren zu erkennen gewesen wären, dann waren diese durch die Eltern und mitsuchende Nachbarn hoffnungslos zertrampelt worden. Auch im weiteren Umfeld waren deutliche Spuren nicht erkennbar, was teils auf den Regen, teils auf das dichte Unterholz des direkt angrenzenden kleinen Wäldchens, wo der Boden voller Blätter und Nadeln war, zurückzuführen war. Und während der ganzen Zeit, in der die Eltern erst mal selbst nach dem Kind suchten und in der Nachbarschaft herumtelefonierten, hatte sich ein Teil des Bodens hoffnungslos in schlammige Rinnsale verwandelt. Niemand hatte bei dem Unwetter in der Nähe ein parkendes Auto gesehen oder jemanden, der ein Kind in ein solches stieß. Keiner hatte Schreie gehört.

Eine groß angelegte Suche führte zu keiner Spur. In weitem Umkreis, dann deutschlandweit wurde nach dem kleinen Mirko gefahndet. Die Zeitungen waren voll mit Bildern des Jungen und seiner verzweifelten Eltern. Doch es tat sich noch nicht einmal ein Verdacht auf. Nachdem erheblich lange Zeit verstrichen war, ging man davon aus, der Junge müsse einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sein. Doch es gab keine Leiche.

Nur Mirkos Eltern hielten mit aller Überzeugung daran fest, dass ihr Sohn am Leben sei. Er verschwand aus den Schlagzeilen und aus den Erinnerungen, wie es mit so vielen Vermissten geht, die nie wieder auftauchen.

 

 

1

Der Junge richtete sich mühsam in dem Bett auf und sah sich um. Der Raum war fensterlos und nur schwach von einer kleinen Lampe auf einem niedrigen Tischchen neben dem Bett erleuchtet. Mirko hatte furchtbare Kopfschmerzen und ihm war speiübel. Zuerst glaubte er zu träumen. Aber dann fasste er das hellblaue Bettzeug an und merkte, es war echt. Nur, es war eben nicht sein Bettzeug und es war auch nicht sein Zimmer, wenngleich es bestimmt ein Kinderzimmer war. Neben der Lampe saß ein großer Teddy und hinten an der Wand standen bunte Kartons, wie er sie auch zu Hause für sein Spielzeug hatte.

Die Tür ging auf und eine mittelgroße Frau mit hellbraunem Haar, in dem blonde Strähnen leuchteten, trat ein. Sie lächelte ihm zu.

Na, da bist du ja wieder aufgewacht, das ist aber schön.“

Der Junge sah die Frau in gleicher Weise erschrocken und erstaunt an. Sie war ihm völlig fremd. Als sie nach seiner Hand greifen wollte, zog er sich unwillkürlich gegen das obere Ende des Bettes zurück und versteckte die Hände hinter dem Rücken.

Aber, aber, mein Kleiner“, die Frau ließ sich auf dem Bett nieder, „komm, gib mir deine Hand, ich muss dir doch den Puls fühlen. Wir müssen doch wissen, wie es dir geht.“

Zögernd streckte Mirko ihr seine kleine Hand hin. Dabei sah er die Frau unverwandt mit seinen großen blauen Augen an.

Wo ist Mama?“, fragte er mit weinerlicher Stimme, „Wo ist Papa? Bin ich im Krankenhaus?“

Die Frau lächelte ihn freundlich an, behielt seine kleine Hand in der ihren, ohne darauf zu reagieren, dass er versuchte, sie ihr wieder zu entziehen.

Na, so ähnlich. Es ist nicht ganz ein Krankenhaus, weißt du. Ich bin eine Heilpraktikerin, und ich kümmere mich um Leute, denen die Ärzte nicht so richtig gut helfen können.“

Der Junge wich wieder zurück. „Aber ich bin doch gar nicht krank. Ich will nach Hause.“

Nun fing er doch tatsächlich an zu weinen. Das war mehr, als Julia aushalten konnte. Sie nahm ihn liebevoll in ihre Arme. Wie schrecklich, das eigene Kind so belügen zu müssen, aber es musste sein. Man durfte Kinder nicht so schockieren, man musste die Wahrheit langsam dosiert zuführen, damit sie keinen Schaden nahmen. „Hör zu, mein Kleiner, du bist eben doch ganz doll krank geworden. Und Mama und Papa fanden es deshalb am besten, wenn du eine Weile hier behandelt wirst. Du hast eine ganz seltene Krankheit, aber das bekommen wir alles wieder in Ordnung. Du musst nicht weinen. Wenn du dich jetzt noch ein wenig mehr ausruhst, gibt es was zu essen und dann darfst du sogar ein bisschen spielen.“

Der Junge stemmte die kleinen Fäuste gegen ihre Brust, um sich aus ihrer Umarmung zu befreien. „Und dann darf ich wieder nach Hause? Haben mich wirklich Mama und Papa hergebracht?“

Ja. Und nun leg dich wieder hin. Ich muss noch nach anderen kranken Leuten sehen. Dann komme ich wieder und habe den ganzen Abend für dich. Ich bin übrigens die Julia.“

Wo ist die Frau mit der Katze?“

Welche Frau, mein Kleiner?“

Da war zu Hause am Zaun eine Frau, die hat eine Katze retten wollen, wegen dem Regen. Ich sollte ihr helfen. Dann… ich gar nicht mehr …“

Die Frau, die Julia hieß, lächelte wieder, und sie hatte wirklich ein richtiges schönes Kinderberuhigungslächeln, wie seine Kinderärztin, wenn es eine Impfspritze gab. „Das hast du geträumt, weil du ganz dolles Fieber bekommen hast. Alles nur geträumt. Ich bin bald wieder da.“

Sanft bettete sie den Jungen auf das Kissen, deckte ihn zu und legte ihm den Teddy in den Arm. „So, der schläft mit dir, damit du nicht so allein bist.“

Mirko war wirklich sehr, sehr müde und noch immer tat ihm der Kopf so weh. Er schloss die Augen. Die Ärztin konnte sagen, was sie wollte, da war wirklich eine Frau gewesen. Eine Frau mit einem Kopftuch, und sie hatte ihn gebeten, ihr zu helfen, die Katze aus den Büschen zu holen, weil es so regnete. Sie hatte ihn über den Zaun…und dann? Dann wusste er nichts mehr. War es vielleicht doch ein Traum gewesen? Wenn doch Mama und Papa ihn hierher gebracht hatten? Warum war er plötzlich krank? Gestern war es doch noch so toll in der Schule gewesen. Sie hatten die ersten Buchstaben… Schon halb im Schlaf griff er nach dem Teddy, der lange nicht so süß war wie seiner zu Hause, und schlief ein.

Eine Sprechstunde hatte Julia abends nicht, aber heute war noch eine ältere Frau bei ihr gewesen, der ihre Arthritis zu schaffen machte. Sie hätte sie auch zu morgen bestellen können, doch sie wollte gerade an diesem Tag, an dem sie aus Pennewitz kam, unbedingt hier einen Termin haben. Nur zur Sicherheit. Die Praxis war ohnehin nur wichtig, damit alle Welt glaubte, hier führe die Heilpraktikerin Julia Horn ein ganz normales Durchschnittsleben. Ein solches brauchte sie, bis sie genügend Beweise gesammelt hatte, dass Benjamin wirklich ihr Kind war, dessen Adoption sie nie im Leben zugestimmt hatte. Bis dahin würde er ein verborgenes Dasein führen. Das hatte auch sein Gutes, denn so gehörte er ihr, nur ihr allein.

Als der Junge erneut aufwachte, saß die fremde Frau an seinem Bett. „Bestimmt kommen sie bald, aber jetzt essen wir erst einmal was. Ich bin gleich wieder da“, sagte Julia, als Mirko wieder weinerlich nach seinen Eltern fragte.

Kurz darauf kam sie mit einem Tablett herein, das sie auf einem Tischchen im Zimmer abstellte, an dem zwei schmale Stühle standen. Weil das Essen so gut roch und er Hunger hatte, ließ sich Mirko überreden, an den Tisch zu kommen. Julia konnte ihre Augen kaum von dem Jungen nehmen, so hingerissen war sie von ihm. Egal, wie viele Jahre man ihnen gestohlen hatte, jetzt würde sie alles wieder wettmachen. Immer, wenn Mirko seine Augen auf sie richtete, lächelte sie ihn an. Ihr Lächeln wirkte tröstlich, auch wenn er das Ganze hier eigentlich scheußlich fand, das Zimmer ohne Fenster, das fremde Bett, die unheimliche Stille, die fremden Spielsachen, von denen er annahm, dass sie anderen Kindern gehörten.

An den folgenden Tagen weinte der Junge viel. Er sehnte sich nach Hause, da halfen auch keine tröstlichen Worte. Er wusste nicht, ob es Morgen, Mittag oder Abend war, denn hier sah immer alles gleich aus, und die Tür schloss diese Julia jedes Mal ab, wenn sie das Zimmer verließ. Warum wurde er eingeschlossen? Er hatte noch nie davon gehört, dass man eingeschlossen wurde, wenn man krank war. Die Frau hatte die Spielsachen ausgepackt, doch er wollte keines davon anrühren. Entweder weinte er oder hockte stumm am Tisch, oder er verkroch sich im Bett.

Nur, wenn die Frau kam, durfte er zur Toilette gehen, einem kleinen, ebenfalls fensterlosen, Raum mit Dusche und Klo neben dem Zimmer. Immer blieb sie dabei und verschloss auch dort die Tür hinter ihnen beiden. Und nur, weil er dann sehr nötig musste, ließ er sich an die Hand nehmen wie ein Baby. Sie sagte, sonst dürfe er nicht aus dem Zimmer. Er ließ sich während der ersten Tage auch nicht seine Kleider ausziehen, nur den Anorak, den er aber dann fest an die Brust drückte, ob er im Bett war oder am Tisch saß. Auf den Anorak war ein kleines gelbes Pferd gesteppt. Er zerrte so lange daran, bis er es abgerissen hatte, dann biss er darauf herum, wenn er sich allzu sehr ängstigte und ganz verzweifelt war.

Mirko hatte keine Vorstellung ob es Tage oder Wochen waren, bis sich Julia zu einer Zeit, die sie als Abend bezeichnete, zu ihm setzte und sagte, sie müsse über ganz wichtige Dinge mit ihm reden. Der Junge fühlte sich von der Stille und dem öden Einerlei tagaus, tagein so stumpf und hilflos, dass er kaum Neugier empfand. Er sah nicht mal auf, sondern starrte weiter auf den Tisch.

Die Frau sagte ihm, dass er an einer ganz seltenen Krankheit leide.

Hast du schon mal etwas von den Mondscheinkindern gehört?“, fragte sie. Der Junge rührte sich nicht. „Das sind Kinder, die vom Tageslicht krank werden. Sie dürfen nur abends hinaus, sonst kann man sie nicht mehr heilen. Bei dir wurde das erst sehr spät entdeckt, aber nun wollen wir sehen, dass wir es wieder bessern können.“

Du lügst!“, schrie Mirko, als sei plötzlich in ihm etwas explodiert und habe seine Erstarrung zum Bersten gebracht.

Ich lüge nicht. Du bist umgefallen und hast Fieber bekommen und es ging dir ganz schlecht wegen dieser Krankheit. Darum musst du jetzt eine Zeit hier bleiben und behandelt werden.“

Du bist gar kein Arzt!“, schrie der Junge. „Und das ist auch gar kein Krankenhaus. Da sind nämlich Fenster und andere Leute. Das weiß ich, weil ich Oma mal im Krankenhaus besucht habe. Du bist eine böse Hexe! Ja, eine Hexe!“

Es tat Julia weh, dass ihr geliebtes Kind so mit ihr sprach. Trotzdem spürte sie Erleichterung bei seinem Ausbruch. Alles war besser als dieser blicklose Stumpfsinn, in den das Kind verfallen war. Julia ergriff energisch seine Hand. „Hexen“, sagte sie, „gibt es nur im Märchen. Du musst eine Weile die Medizin nehmen, die ich dir gebe, und ein besonderes Essen, und du bekommst diesen Tee, da ist auch eine Medizin drin, aber es dauert eben eine ganze Weile und wir müssen Geduld haben. Wenn du schön mitmachst und nicht so viel weinst und schreist, bist du bald gesund. Wenn du mir versprichst, artig und ganz leise zu sein, dann können wir auch mal in der Nacht in den Garten gehen. Doch zu dieser Zeit schlafen alle anderen Leute, und wenn du dort herumschreist, bekomme ich ganz dollen Ärger und kann dich nicht weiter gesund machen.“

Zum ersten Mal an diesem Abend hob der Junge seine Augen zu ihr. Sie waren verquollen und voller Zweifel, aber ein Schimmerchen Hoffnung glomm darin. „Echt? Ich darf raus?“

Julia nickte. „Und noch etwas, so lange du hier bei mir bist, werde ich dich Benjamin nennen.“

Oma war auch im Krankenhaus und hieß weiter Oma. Und Benjamin ist doof“, maulte der Junge, „das war der kleinste von Josephs Brüdern in der Bibel. Ich bin aber nicht klein, ich geh schon zur Schule.“

Du bist aber der kleinste von meinen Patienten. Darum passt der Name doch sehr gut. Und denk immer dran, wenn du nicht alles so machst, wie ich es dir sage, dann wirst du nicht gesund.“

Mirko sah sie zweifelnd an. Er hatte seine kleine Stirn in Falten gelegt und die Unterlippe vorgeschoben. Er war unschlüssig, ob er alles glauben oder die Frau doch weiterhin für eine Hexe halten sollte. „Aber warum kommen meine Eltern nicht?“

Deine Eltern“, erklärte ihm Julia mit nun ernstem Gesicht, „mussten für längere Zeit ganz weit wegreisen. Sie müssen da arbeiten. Es dauert ein paar Monate, bis sie wieder hier sind.“

Julia war nicht darauf vorbereitet, wie der Junge plötzlich aufsprang und sie wütend mit seinen Fäusten bearbeitete. „Das ist nicht wahr! Sie hätten mir tschüß gesagt! Du lügst, du lügst! Du bist doch eine Hexe! Ich will nach Hause! Wenn sie nicht da sind, will ich zu Oma! Ich schlag dich tot, du Hexe!“

Es bereitete ihr einige Mühe, seine Fäuste einzufangen. Schließlich hielt sie das aufgeregt zitternde Kind ganz fest in ihren Armen. So fest, wie sie ihn gehalten hatte, nachdem sie ihm den Ätherbausch auf das Gesicht gedrückt hatte und mit ihm, ihre Schuhe in den Manteltaschen, um keine Spuren zu hinterlassen, durch den strömenden Regen zum Auto gelaufen war. Nachdem er feststellte, dass er sich aus der Umarmung nicht befreien konnte, begann er hemmungslos verzweifelt zu weinen und zu schreien. Julia war froh, dass kein Laut nach draußen dringen würde. Dieser schalldichte Keller, den sich früher der Sohn ihres Vermieters für seine Schlagzeugübungen ausgebaut hatte, war einer der Gründe gewesen, sich für die Wohnung zu entscheiden.

Benjamin“, sagte sie dann mit gewisser Strenge, „du darfst dich nicht aufregen, dann wird es immer schlimmer mit deiner Krankheit. Ich hole jetzt deine Medizin, und dann wirst du fein schlafen.“

Wieder allein, warf sich das Kind auf das Bett, vergrub das tränennasse Gesicht verzweifelt an dem Teddybär und kaute an dem gelben Pferd herum. Mehr denn je war es überzeugt, einer bösen Hexe in die Falle gegangen zu sein. Nur widerwillig schluckte er die eklig schmeckenden Tropfen.

In den folgenden Wochen wurde der Junge mal von heftigen Schreiattacken ergriffen, mal hockte er stumm und starr auf dem Bett. Er schlug sich die Handknöchel an der Tür trotz der Polsterung blutig, warf mit dem Spielzeug nach Julia, wenn sie hereinkam, schlug und biss nach ihr wie eine kleine Bestie und schleuderte seine Teller vom Tisch. Ging sie mit ihm zu dem kleinen Duschbad nebenan, versuchte er sich von ihr loszureißen. Dann schluchzte er wieder in den Teddybär hinein, seinen einzigen akzeptierten Freund in diesem Verlies, in dem es weder ein Fenster noch eine offene Tür gab. Er verweigerte das Essen oder spuckte es auf den Tisch. Doch Julia blieb immer gleich freundlich mit diesem milden Lächeln im Gesicht. Sie schien unangreifbar zu sein und keiner seiner Ausbrüche schien sie zu berühren.

Langsam schwand Mirkos Hoffnung wieder nach Hause zurückzukehren. Widerstand war zwecklos. Die Eltern waren weit fort, sie hatten sich nicht verabschiedet. Vielleicht nahm der Vater ihm übel, dass er krank geworden war. Immer hatte er darauf bestanden, dass ein Junge keine Schwäche zeigen dürfe. Der Junge begann sich in das trostlose Schicksal zu fügen. Mit der Zeit wurden die Bilder aus früheren Tagen verschwommener. Er konnte sich weder die Gesichter der Eltern noch die seiner Freunde wirklich und leibhaftig vorstellen.

Bevor sie alles arrangiert und den Jungen geholt hatte, hatte Julia nur ein Ziel vor sich gesehen, endlich ihr Kind bei sich zu haben. Nun zeigte sich, dass bis dahin noch ein langer Weg zu gehen war, auch wenn Benjamin jetzt bei ihr war. Immer wieder sagte sie sich, dass er schließlich nichts dafür könne und die Zeit letztlich für sie arbeiten würde. Aber es zerrte an ihren Nerven, und so manche Nacht lag nicht nur das Kind, sondern auch sie weinend im Bett. Seine Wutausbrüche schmerzten sie ebenso wie seine stumme Resignation.

Doch jetzt war er ruhiger und Julia fiel auf, wie ungesund er aussah. Er war bleich, oft kaum ansprechbar, sie entschied sich, zumindest nachts mit ihm nach draußen zu gehen, damit er an die Luft kam. Zwar hatte sie ihm allabendlich eine Bestrahlungslampe hinuntergebracht, unter der er ein Weilchen sitzen musste, doch wusste sie, dass die kein dauerhafter Ersatz war.

Wenn du draußen schreist oder Unsinn machst, nehme ich dich gleich und schließe dich bis morgen wieder ein“, sagte sie, als sie ihm offenbarte, dass sie heute zur nächtlichen Stunde hinunter zu dem kleinen Bach gehen wollten.

Lange zuvor war sie den Weg immer wieder zur Nachtzeit abgelaufen und war nie einem Menschen begegnet. Das kam letztlich auch daher, dass der kleine Trampelpfad, der am Haus vorbei zum Bach führte, eigentlich nur von Kindern getreten war, die tagsüber dort spielten. Der Weg führte lediglich bis zum Bach, und wer wollte schon nachts zum Bach? Zur Sicherheit wollte sie in ihre Tasche einen Ätherbausch stecken, falls das Kind doch einen Versuch machen sollte, zu schreien oder ihr zu entkommen. Mirko war seit dem Mittagessen, als ihm Julia davon erzählt hatte, so aufgeregt, dass er kaum seine Füße und Hände stillhalten konnte. Es war kaum zu glauben, dass dies das stumpf vor sich hin brütende Kind war. Er erzählte immer wieder und wieder dem Teddy, dessen Kopf unter vielen Tränen und Faustschlägen schon mächtig gelitten hatte, von dem bevorstehenden Ausflug. Endlich durfte er hinaus, auch wenn es nur in der Nacht war. Julia hatte gesagt, seine Krankheit habe sich schon ein wenig gebessert, nur das Tageslicht müsste vorerst weiterhin gemieden werden. Doch die Aussicht auf den ersten Ausflug ins Freie ließ bei ihm eine endlose Traumkette abrollen, vom baldigen Spiel im Sonnenlicht bis zur Heimkehr. Er meinte es durchaus ehrlich, als er Julia versprach, leise zu sein, um die schlafenden Nachbarn nicht zu stören und ihr Ärger zu machen, auch nicht wegzulaufen, weil er damit alle Heilungschancen vertat.

Als sie aus der Haustür traten, war ihm im ersten Moment schwindlig und er klammerte sich fest an Julias Hand. Sie hielt seine Hand fest, flüsterte, er solle Bescheid sagen, wenn sie stehen bleiben solle. Auch die ungewohnten Geräusche erschreckten ihn. Mal raschelte es in den Herbstblättern, mal knarrte ein Baum im Wind, dann hörte man das Plätschern des Baches. Sie setzten sich an das abschüssige Ufer und Julia gestattete, dass er mit den Händen ins Wasser griff. Es war sehr kalt, trotzdem spritzte sie ihn ein wenig nass, und er lachte, tat ein Gleiches, und Julia lachte auch. Sie war fast glücklich. So würde es bald werden, auch im hellen Licht, für immer und alle Zeit. Die Schatten der Vergangenheit würden vergessen sein, und Benjamin vor aller Augen ihr Sohn. Am nachtklaren Himmel funkelten die Sterne, der Mond tauchte das Wasser, die grauen Steine und Blätter ringsum in unwirkliches Licht. Mirko sah sich begeistert um und fand die Nacht märchenhaft, ja, er meinte, noch nie so etwas Schönes erlebt zu haben, schließlich hatte er in dunklen Nächten fest schlafend in seinem Bett gelegen. Dass man nachts auch spielen, lachen und spazieren konnte, war ihm neu. In den folgenden Nächten, die klar und wolkenlos waren, gingen sie wieder und wieder hinaus. Mal wanderten sie zum Bach, mal zum verlassenen Waldspielplatz, wo sie zusammen auf der Schaukel mitten in das Sternenmeer zu fliegen schienen. Dann meinte Mirko, der Himmel tue sich über ihm auf, und er musste seine Lippen fest zusammenpressen, um nicht einen fröhlichen Schrei auszustoßen, was ihm streng untersagt war.

Diese ungekannte Welt, die ihm Julia mit den nächtlichen Ausflügen erschloss, war ein Grund, dass er mehr und mehr Zutrauen zu ihr fasste. An den Wochenenden durfte er nun manchmal nach oben, um mit ihr zusammen in der großen Küche zu essen und im Wohnzimmer Zeichentrickfilme anzusehen. Stets zog sie dann die dunkelgrünen Vorhänge zu, mit der Begründung, er dürfte noch nicht allzu viel Licht abbekommen. Die kleinen Zugeständnisse wurden für den Jungen zu tollen Erlebnissen. Wenn Julia werktags ihre kleine Praxis betrieb, wartete er ungeduldig, bis sie wieder zu ihm kam. Er malte allerlei Bilder, meinst vom Mond und den Sternen und Julia, aber auch von den so fernen Eltern und allerlei Tieren, die er im Fernsehen bei Julia gesehen hatte. Zum Trost ließ ihm Julia stets einen Teller mit Naschereien da, was ihm das Warten auch wirklich ein wenig erleichterte. Er bekam keine Schreianfälle mehr und fragte immer seltener, wann er wieder nach Hause dürfe. Seine Eltern hatten ihn hier krank abgegeben und waren dann verschwunden. Sie hatten ihn weder besucht noch ihm Karten geschrieben. Vielleicht kamen sie überhaupt nicht mehr zurück. Langsam richtete sich der Zorn, den er zuvor gegenüber Julia empfunden hatte, gegen seine Eltern. Nicht die Eltern, Julia war es, die stets um ihn war und ihn mit ihrer Fürsorge und Liebe umgab, gleich was er tat. Langsam öffnete er sich für die Zuneigung der fremden Frau. Julia beobachtete diese Wandlung glücklich und widmete sich dem Kind noch zärtlicher.

Als fast zwei Monate vergangen waren, hielt Julia es für angebracht, ihn über seine Herkunft aufzuklären. Sie tat es an einem Abend, während draußen der Regen niederrauschte und an einen Spaziergang nicht zu denken war. Sie hatten zusammen gegessen und saßen jetzt im Wohnzimmer. Zu Mirkos Enttäuschung schaltete Julia nicht den Fernseher ein, sondern setzte sich dem Jungen gegenüber auf einen Sessel. „Benjamin, ich denke, es ist an der Zeit, dass ich dir einige Dinge erkläre.“

Das Kind sah sie abwartend aus großen an. Da erzählte sie ihm die Geschichte von dem kleinen Jungen, den sie vor über sechs Jahren zur Welt gebracht und den man ihr dann geraubt hatte. Sie schilderte, wie sie Jahr um Jahr nach ihm gesucht und ihn nun endlich gefunden hatte. Der Junge fand die Geschichte sehr traurig, so traurig, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. „Dieser Junge heißt Benjamin“, sagte sie im gleichen Ton, in dem sie spannenden Märchen vorlas, „und der bist du. Die Leute, zu denen du ‚Vater’ und ‚Mutter’ sagst, sind nicht deine Eltern. Sie konnten keine eigenen Kinder haben und haben darum viel Geld bezahlt, um eines zu bekommen. Sie wollten natürlich, dass es nie herauskommt. Als du krank geworden bist, da wollten sie dich nicht mehr haben. So bist du zu mir, deiner richtigen Mutter zurückgekommen. Vielleicht bist du jetzt sehr erschrocken, weil du nicht begreifen kannst, wie sie dich so belügen konnten. Doch vielleicht wussten sie nicht, wie sie es sagen sollten oder hatten Angst, du läufst ihnen davon. Ich selbst bin sehr glücklich, dich wieder bei mir zu haben. Es gibt einige Sachen, die ich dir erst später erklären kann, wenn du ein wenig größer bist. Das Wichtigste aber weißt du jetzt.“

Mirko starrte Julia an, die sich ihm nun so plötzlich und unvermittelt als Mutter offenbarte. Doch seine Welt war ohnehin schon auseinandergefallen wie ein mutwillig zerstörtes Puzzle. So viele Teile dieses Puzzles waren verschwunden, die Freunde, das Spiel im Sonnenschein, sein Zuhause, Eltern, Oma, die Schule, dass diese Eröffnung ihn nicht in dem Maße erschütterte, wie Julia im Stillen gefürchtet hatte. Nur, wieso die Eltern ihn belogen hatten, verstand er nicht. Und auch nicht, dass sie ihn nicht haben wollten, als er krank war. Klar, der Papa war sehr, sehr streng, und oft hatte er ihm richtig Angst gemacht, aber nie hätte er gedacht, dass sie ihn verlassen könnten.

Der Junge sah Julia noch immer an, fragend, verständnislos, während ihm Tränen über das Gesicht liefen. Sie nahm ihn in ihre Arme und wiegte ihn an ihrer Brust, begann ihn mit sanften Worten zu trösten, dass doch alles noch sein Gutes habe, weil er jetzt bei ihr, der wahren Mutter, sei, die ihn obendrein auch noch heilen könne. Dass sie ihn entführen musste, dass er nicht krank war, sondern sie ihn verstecken musste, das würde er erst viel später verstehen können.

Man darf aber nicht lügen. Die haben geschwindelt“, schluchzte Mirko verhalten an ihrer Schulter.

Weißt du“, sagte Julia beschwichtigend, „sie haben sich das einfacher vorgestellt mit einem Kind. Und mit so einer Krankheit, da wussten sie nicht weiter. Es war dann doch gut, dass sie dich mir gebracht haben und nicht einem ganz fremden Arzt.“ Sein Schluchzen wurde leiser.

Der Junge wurde sehr still in der folgenden Zeit, und er beobachtete Julia bei all ihren Verrichtungen. Er brauchte Zeit, seine neue Mutter kennen zu lernen, er brauchte auch Zeit, sich nicht mehr als der zu sehen, der er doch gewesen war. Manchmal, wenn ihn all das Neue zu sehr verwirrte, weinte er wieder. Später begann er zu fragen und gar nicht mehr aufzuhören. Er wollte wissen, wie Julia als Kind gewesen war und was sie gespielt hatte, wie es in Kiel war, wo sie herkam. War das so wie Pennewitz? Unter dem Meer, von dem sie erzählte, konnte er sich wenig vorstellen. Dann fragte er nach aktuelleren Dingen, wie es jetzt draußen war, was für ein Wetter sei und ob es in der Nähe viele Kinder gebe.

Mit noch größerem Eifer versuchte der Junge, die ihm noch nicht verständlichen Dinge durch seine Bilder zu erklären. Er malte seine Eltern als schwarze, böse Gestalten, sich selbst allein und sehr klein. Manchmal stach er mit dem Stift so lange auf die schwarzen Gestalten ein, bis sie zerfetzt waren. Julia war seine neue Mutter. Sie sah auf allen Bildern schön und hell aus, lachte stets mit einem breiten, roten Strich, der ihr Mund war, und hielt ihn an der Hand. Er malte sie beide unter dem Mond, doch die Bilder waren so hell wie der Tag.

Julia war überzeugt, sie würde die nötigen Beweise finden, wenn erst genügend Gras über die Geschichte gewachsen war, so dass sie irgendwo unbehelligt leben könnten. Über solche Dinge wie fehlende Papiere und die Unmöglichkeit, das Kind auf eine Schule zu schicken, machte sie sich zurzeit noch keine Gedanken. Benjamin würde das Vergangene vergessen, sagte sie sich.

 

 

                                           

 Leserkommentar:

Stell Dir vor, Du bist ein Mittel und weißt nicht, zu welchem Zweck!

 

Vor gut zwölf Jahren war ich Museumspädagogin in einem kleinen Museum: Es kamen viele Kindergruppen ins Museum und in der Pause waren wir zusammen auf einem Spielplatz.

Meine größte Angst war, dass ein Kind verschwindet, deswegen habe ich immer neu gezählt, ob noch alle da sind. Es ist immer gut gegangen.

 

Im Buch "Keine Spur von Mirko" geht es nicht gut aus, ein Kind wird entführt!

Die Geschichte beginnt im Herbst: ein Erstklässler verschwindet auf rätselhafte Weise aus dem Garten seiner Eltern.

Die Eltern und die Polizei sind ratlos. Mirkos Eltern, die das Kind als Baby adoptiert haben, können die Unsicherheit nicht ertragen. Auch Mirkos leibliche Mutter nimmt Kontakt auf und sucht sogar auf eigene Faust nach dem Jungen.

Die Arbeit der Polizei wird so beschrieben, dass man begreift, die Situation setzt auch die Profis unter Druck. Leider passiert der Polizei ein Fehler, den sie nicht mehr gut machen kann.

 

Gleichzeitig weiß der Leser des Buches schon mehr, nämlich, wer Mirko entführt hat und wo der Junge versteckt gehalten wird. Dennoch bleibt die Geschichte spannend bis zur letzten Seite, denn vieles ist anders, als es auf den ersten Blick erscheint.

 

Dieser Kriminalroman ist wie eine Reportage geschrieben, bei der jede Figur positive und negative Seiten hat. Niemand ist von Beginn an abgestempelt, böse oder gut zu sein, die Geschichte bleibt dadurch immer rätselhaft und spannend.

 

Erst am Ende klärt sich auf, wer zu welchem Zweck gehandelt hat, das Ende ist mindestens so gespenstisch wie der Anfang der Geschichte.

 

Ich werde das Buch demnächst noch einmal lesen, jetzt weiß ich, was die Lösung des Falls ist und so ist der Roman auf neue Weise spannend!

 

Eva Bock von Wülfingen

 

 




 

Leseprobe

Frau mit Katze

Klingt nach öltriefendem Gemälde, ist es aber nicht. Eigentlich wollten Wilma, Ruth und ich an diesem Samstag ins Theater gehen. Ein neuer Autor mit Wahnsinnskritiken präsentierte sich mit der Komödie „Glück wie Heu“. Dann hatte Wilma Leibkrämpfe bekommen, wand sich jammernd auf dem Sofa. Weder Heizdecke noch Kamillentee konnten ihre Qualen lindern. Wen wundert’s, denn der Notarzt diagnostizierte eine akute Blinddarmentzündung. Das kommt davon, wenn man sich von nichts trennen kann. Mein Blinddarm wurde schon im Kindesalter zum Müll getan.

Jedenfalls kam Wilma ins Krankenhaus und ich blieb mit ihrer Katze, ihren Blumen und den leichtverderblichen Lebensmitteln, die ich zu vertilgen versprach, zurück. Die Katze litt natürlich beträchtlich unter dem Abtransport ihres Frauchens. Kein Trösten half, dass besagtes Frauchen bald und gesund wieder zu Hause sein würde. Also nahm ich die Fütterungsliste, die an Wilmas Kühlschrank klebte und stellte fest, dass heute gedünsteter Fisch mit Biomöhren dran war. Na, Mahlzeit. Sag es doch, Katze müsste man sein, besonders bei Wilma.

Ich machte mich ans Dünsten. Das Studium des Speiseplans von Pitti machte mich leicht schwindelig. Da kamen nicht nur Streicheleinheiten und etwas Fellpflege auf mich zu, sondern ein tägliches ausgedehntes Kochprogramm. Das Allerallerletzte, wozu ich Lust hatte, schon gar nicht für eine Katze. Ich sah meine Freizeit dahinrinnen wie umgekippte Milch. Wie sollte ich da den Alltag um mich her auf weiteren Zuschriftenstoff für das „Blatt für jeden“ erforschen? Dabei hatte diese Beschäftigung gerade angefangen, mir Spaß zu machen. Ich begann schon damit, mir eine eigene Homepage einzurichten. Sonja Stolzenstein – freie Journalistin und Powerfrau. Ich packe den Alltag gern da, wo er stattfindet. Nein, kein Wort von Männersuche und solchen Dingen. Statt mich nun damit zu beschäftigen, die Seite mit Alltag hier und überall zu füllen, durfte ich Katzensklavin spielen. Einkaufen, kochen, Katzenklo putzen, Spielzeug durch die Gegend schmeißen, Tier streicheln. Außerdem war das verwöhnte Vieh gewohnt, ab Herbst auf einer vorgewärmten Decke in Wilmas Bett zu liegen. Und Herbst war es zurzeit nicht zu schlecht.

Dann aber kam mir die absolute geistige Leuchtreklame. Warum nicht über das Leben mit einer Katze schreiben? Millionen meiner Mitmenschen lebten mit oder besser für ihre Katzen. Damit traf ich doch direkt mitten in die geplagte Volksseele. Um das in die Tat umzusetzen, hätte Pitti mir jedoch den entsprechenden Freiraum einräumen müssen. Sie bestand aber darauf, kaum ließ ich mich am Computer nieder, entweder auf meinen Schoß oder, was noch schlimmer war, auf die Tastatur zu springen.

In Wilmas Wohnung allein bleiben wollte sie auch nicht. Auf meine Notlösung ‚Katze im Bad einsperren’ reagierte sie nur mit dem Vollpinkeln meiner Badematten.

Schließlich holte ich den Transportkorb aus Wilmas Abstellkammer herüber und sperrte das widerstrebende, kratzende und fauchende Ungeheuer hinein. So, nun sahen zwar meine Hände aus wie durch den Fleischwolf gedreht, aber ich konnte das unverzichtbare Gedankengut für „Blatt für jeden“ und meine tolle Homepage niederschreiben. Um mich auch von Pittis empörtem und so lautstarkem wie unmelodischem Geschrei nicht davon abbringen zu lassen, stopfte ich mir die Ohren zu. Sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn meine gerade begonnene literarische Laufbahn am Katzenjammer scheitern musste.

Nach nicht allzu langer Zeit drang schrilles Dauerschrillen an der Tür in meine verstopften Ohren. Ein Notfall, dachte ich, ein Mord, ein Amokläufer, Einbrecher, Räuber und Vandalen… Endlich eine Sensation aus dem Alltag für den Alltag. Von wegen! Vor der Tür stand eine völlig entnervte Frau Wurzelmuff aus der Etage unter mir und machte mir lauthals den Vorwurf der Ruhestörung und Tierquälerei. Sie drohte mit Tierschutz, Hausverwaltung, Polizei und Bundeswehr, wenn das nicht aufhöre. Auf der Stelle. Durch die offene Tür hatte sie auch noch mit Entsetzen die eingesperrte Katze entdeckt. Pah, dabei saß ihr Wellensittich doch auch im Käfig, von seiner Unmusikalität mal ganz zu schweigen.

Wohl oder übel kam Frau Katze wieder aus dem Korb. Ihre Wut ließ sie anschließend kraftvoll an meinem lindgrünen Lieblingssessel aus. Wie hatte ich bei der Scheidung mit meinem Ex um diesen Sessel gekämpft. Alles, damit er jetzt einem Raubtier zum Opfer fiel. Um das Ungeheuer zu beruhigen, begann ich ihr ein feudales Fresschen zu kochen. Öko-Bauern-Huhn mit winzigen Vollkorn-Sternchen-Nudeln. Pitti schlich dabei ungeduldig schreiend um meine Beine. Bestimmt würde es gleich wieder klingeln. Diesmal, weil ich tierquälerische Person nicht schnell genug kochte.

Es klingelte nicht, aber plötzlich gab die Waschmaschine, in der sich im zweiten Durchlauf meine katzenverpinkelten Badematten drehten, Geräusche wie die Titanic vor ihrem Untergang von sich. Dann absolute Stille. Nur das Öko-Huhn blubberte im Topf. Gleichzeitig blubberte jedoch auch noch was anderes, nämlich Wasser aus der Waschmaschine über den Küchenboden. Zu allem Übel auch noch Wasser, das noch immer eindeutig nach Pitti-Pisse stank. Nein! Bitte nicht. So viel Alltag auf einmal. So schnell konnte ich doch gar nicht schreiben.

An Schreiben war erst mal sowieso nicht zu denken. Hier musste schnellstens ein Handwerker her. Es kostete mich über eine Stunde hektischer Telefonate, bis ich endlich einen erwischt hatte, der noch am gleichen Tag kommen konnte. Das Huhn backte am Topfboden, weil das Wasser fast gänzlich verbrodelt war. Egal, musste Pitti mit vorlieb nehmen. Tat sie auch. Wahrscheinlich war sie sich nun doch der besonderen Notlage bewusst und wollte die Dinge nicht noch mit allzu wählerischer Verachtung meiner Katzenküche auf die Spitze treiben.

Bis am späten Nachmittag der Handwerker klingelte, hatte ich die Küche bestimmt fünfmal gewischt, dabei eine Flasche Essigreiniger und eine halbe Dose Raumspray ver

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