Wunderbare Welt des Fernsehens





Wunderbare Welt des Fernsehens

 

Eine Grippe hat mich ins Bett gestampft. Mit allem Drum und Dran, vom Gliederreißen bis zum heißen Kopf, wachsweichen Beinen und wehem Hals. Auf dem Tisch neben mir dampft ein Gesundheitstee und aus meinem Schlafanzug steigt mir der beißende Geruch des Bronchialbalsams in Nase und Augen. Was soll man in so einem Zustand tun? Lesen fällt flach, weil meine Konzentration gleich null ist, bleibt also nur das Fernsehen. Wäre die ekelhafte Krankheit nicht, wäre es bestimmt schön, mal ein paar Tage faul im Bett zuzubringen, nur in Gesellschaft des viereckigen Apparates mit dem Geschehen der großen weiten Welt und netten Filmchen. Kein Stress, keine nervigen Kunden, kein Ärger mit der neuen Software und auch kein Chef.

So aber ist es eine Notlösung. Da mit verstopfter Nase und röchelndem Atem nicht an viel Schlaf zu denken ist, habe ich den Fernseher schon früh eingeschaltet. In einem Frühprogramm werde ich Zeuge aller wichtigen Vorgänge hierzulande und in der Welt, interessanter Interviews, aktueller Sport- und sonstiger Nachrichten. Das fesselt mich für eine Weile. Noch nie hatte ich um diese Zeit Muße zum Fernsehen. Leider wiederholen sich dann die Beiträge in den folgenden eineinhalb Stunden. Ich frage mich, für wie blöd die eigentlich ihr Publikum halten, dass sie ihm alles dreimal erzählen und zeigen müssen. Na ja, Pisa lässt grüßen, manche Nachrichten sind nicht leicht zu durchschauen.  Vielleicht ist es ja wirklich für Teile der Bevölkerung ganz gut so.

Danach kommt ein Film, mit dem ich nichts anfangen kann, weil er Teil einer ellenlangen Serie ist, von der weder was gesehen noch gehört habe. Also taste ich auf dem Tisch nach der Fernbedienung und schalte mich in ein anderes Programm, diesmal einen Privatsender. Hier sehe ich Frauen mit Riesenbäuchen, die begeistert auf Ultraschallbilder schauen. Nette Ärzte erklären alle ungeborenen Kinder für schön und gesund. Anschließend werden die betreffenden Kinder und noch andere mit und ohne Kaiserschnitt aus den Mutterleibern geholt. Vor laufender Kamera grabschen die Väter voller Begeisterung nach ihren blutigen, schmierigen Sprösslingen. Die Mutter grinst erschöpft und wird dann wieder zugenäht. Wie es ihr hinterher geht, zeigt keiner.

Zwischendurch döse ich ein wenig weg, träume von Babygeschrei und großen Skalpells. Das war wohl nichts, so auf nüchternen Magen. Als ich wieder aufwache, sind gerade zwei junge Leute bei der Wohnungssuche. Na, das ist ja vielleicht mal interessanter. Ich möchte mich auch demnächst wieder verändern. Zwei Wohnungen gefallen ihnen schon mal nicht. Ich fand die ganz gut. Aber über Geschmack kann man nicht streiten. Doch, sieh an, schon die dritte ist ideal und spottbillig. Na, so was. Und dann geht es ruck, zuck. Sie rasen durch den Baumarkt, einigen sich immer sofort über alles – wenn das mal mit meiner Freundin so wäre - klatschen die Wände voll mit bunten Farben, die mir die Augen tränen lassen und hast-du–nicht-gesehen sind sie schon dank fleißiger Helfer im neuen Heim. Man, warum ging das bei mir nicht so glatt beim letzten Umzug? Der dauerte fast eine Woche und ich erstickte im Chaos.

Wieder zappe ich herum, bleibe in einer Gerichtssendung stecken. Da kann man vielleicht noch was lernen über das demokratische Rechtssystem. Allerdings finde ich es verwunderlich, dass manche Leute – besonders die weiblichen Menschen – mit tiefen Dekolltés, superkurzen Flimmerkleidern und einer Aufmachung, die nicht mal einem Filmball gerecht würde, in den Gerichtssaal stolzieren. Die Angeklagte ist ein bescheidenes Würstchen, die Unschuld in Person. Am Ende ist sie aber doch schuldig. Sie hatte aus Eifersucht ihrem Liebhaber den Penis abgeschnitten. Ihhh, pfui Deibel. Muss ich mir nun auch nicht reinziehen.

Also, mal sehen, was die anderen Programme so bringen. Ach, hier läuft was über Liebe, Schönheit und Leid der Promis, die die Welt bedeuten. Yellow Press im Fernsehen. Nun, so was hab ich mir noch nie angesehen. Wann komm ich sonst mal zum Fernsehen und dann noch am hellichten Tag. Wer mit wem, warum und wie und ob und vielleicht doch nicht. Aber anschließend kommt dann ein Beitrag aus dem gruftig grauen Alltag, nämlich über eine Suppenküche. Ungeniert gleitet die Kamera über die Leute, die da Schlange stehen. Penner, junge Mütter, alte Leute, Kinder, Halbwüchsige. Da hat man sich früher über das Schlangestehen im Osten lustig gemacht. Die befragten Ansteherinnen und Ansteher beklagen, dass ihr Geld – in der Regel Harz IV – vorn und hinten nicht reicht. Die Essensausteilerinnen strahlen ehrenamtlich positiv in die Kamera und loben die Großzügigkeit dieser und jener Firma. Da freut sich aber diese und jene Firma.

Mich übermannt wieder ein Minutenschlaf. Als ich aus wirrem Fiebertraum erwache, strahlt mich eine lustige Talkfrau an. Sie scheint all ihre Kandidaten schon lange und gut zu kennen, denn sie ist mit allen per du. So eine gesellige Frau, und das trotz der anstrengenden Fernseharbeit. Allerdings scheint sie bei der Auswahl ihrer Duzfreunde nicht sehr wählerisch zu sein. Einige keifen sich vor dem deutschen Millionenpublikum und dem im Studio an und werden wohl gleich aufeinander losgehen. Da ist die nette Talkfrau aber immer auf der Hut und tritt die Bremse. Klasse, wie die das im Griff hat. Ich wünschte, sie käme mal zu meinen Nachbarn, die schlagen sich auch dauernd die Köpfe ein. Ob ich da mal anrufe und frage, ob diese nette Blondine die auch besänftigen kann? Als auch die nächsten Leute mit Geschrei aufeinander losgehen, reicht es mir dann aber doch. Man kann ja kaum noch was verstehen. Mal wieder in einen anderen Sender.

Da ist auch eine Talkshow, aber es geht ruhiger zu. Es geht um Mütter und ihre eigensinnigen Töchter, die auf Abwege geraten. Wie realistisch. Wie die vom Fernsehen aber auch ihr Ohr immer so direkt an den Nöten des Volkes haben. Die Mütter klagen und jammern, streuen Asche auf ihr Haupt, weil sie ja auch viel falsch gemacht haben. Die Töchter sind noch ein wenig bockig, aber geknickt und fallen hernach schluchzend ihren Mamis um den Hals. Toll, wie so eine Fernsehsendung die Leute von innen nach außen wenden kann. Wenn ich mal wieder Probleme habe, gehe ich auch ins Fernsehen.

Taste gedrückt, und ich bin mitten in der Beratung einer Psychologin. Bei ihr ist eine total zerstrittene Familie, die nur so von Traumata, Untreue und Lügen strotzt. Die Eheleute wollen sich trennen, die Kinder sind verzweifelt und die Geliebte des Gatten zetert, er habe ihr ewige Treue geschworen.   Wozu gehen die zur Psychologin, ist doch hoffnungslos, sollen sich einfach scheiden lassen. Aber weit gefehlt. Die professionelle Seelendoktorin baut allerlei Hürden aus Kistchen und Würfeln und Treppen und Bildchen vor ihnen auf, lässt sie damit tiefe Erkenntnisse gewinnen und fügt zusammen, was eigentlich gar nicht mehr zusammengehört. Sie kitzelt heraus, dass sie einander doch noch lieben, verabschiedet die wütende Geliebte, löst sämtliche Kindheits- und sonstige Lebenstraumata der Ehefrau auf und führt am Ende die Familie wieder auf den gemeinsamen Weg von Glück und Treue. Und das alles innerhalb einer Stunde, einschließlich Werbepausen. Wer weiß, mit was die die Leute während der Werbepausen weich geklopft hat.

Mein Tee ist kalt geworden und schmeckt widerlich. Ich krieche in die Küche, um mir einen Vitaminsaft zu holen und eine Orange. Nein, nicht schon wieder das Gericht mit den aufgedonnerten Miezen. Dafür kommt anderswo das Schicksal eines Jungen, der auf der Straße gelandet ist. Wie ergreifend. Und wie schön, dass sich auch hier schon nach einer Stunde, einschließlich Werbepausen, alles zum Guten wendet. Da hat man früher über die heile, schnulzige Welt der Heimatfilme gespottet. Von wegen, die Realität in der Fernsehvielfalt ist ebenso sirupsüß und babybreiig.

Irgendwo habe ich ja ein Fernsehprogramm, fragt sich nur wo. Egal, ich zappe halt weiter herum. Im Laufe des späten Nachmittags und anbrechenden Abends erfahre ich noch viel Wissenwertes über leckere Gerichte, die man im Nu zubereiten kann. Irre, und dabei sieht die Fernsehküche sauber aus wie geleckt. Bei mir ist das ganz anders, da darf keiner reinschauen, wenn ich koche. Meine Freundin ist immer kurz vorm verfrühten Schlaganfall. Zwischendurch erfahre ich lauter missliche Dinge in den Nachrichten. Zusammenbrechende Betriebe und Aktien, Erdbeben, Sturm und Buschbrände, Worte von Politikern, die so klingen wie das Horoskop: Sie passen immer und sagen nichts Konkretes. Dann der Wetterbericht, der mir gleich weitere Kopfschmerzen und einen neuen Fieberschub einbringt.

Kleiner Ausflug durch weitere die Fernsehwelten. In einem Programm kann ich jetzt zusehen, wie andere Leute in einem Container ein Leben ohne Privatsphäre führen, ich kann noch mehr über Kochrezepte erfahren, in einem Film reiht sich eine Explosion an die andere. Danke, mir reichen die Explosionen in meinem Kopf. Hängen bleibe ich bei deutschen Auswanderern. Mal sehen, vielleicht wäre das ja eine Lösung für meinen stressigen Alltag. Einfach die Koffer packen und in die Ferne.

Aber die Schicksale der Familien, die ihr Heimatland, das ihnen nichts mehr zu bieten hat, verlassen, sind alles andere als ermutigend. Sie haben alles zu Geld gemacht, was zu verkaufen war. Ihre jammernden Kinder hinter sich herzerrend, landen sie an fremden Ufern in engen Hotelzimmern der Klasse Jugendherberge. Sie wollen ihr Glück versuchen, aber sie finden nicht so schnell Arbeit, sie müssen sich als billige Hilfskräfte verdingen, und der Traum vom Haus zerplatzt wie eine Seifenblase. Die Kinder heulen weiter nach ihren fernen Freunden, die Eltern drehen das fremde Geld um. Ja, sind denn die alle behämmert? Die laufen weg und können nicht eine Silbe von der fremden Sprache, noch nicht mal Englisch, die konnten sich nicht vorher informieren, wie es da aussieht?

Einigen brechen die Häuser über dem Kopf zusammen, andere kämpfen mit unlustigen Bauarbeitern, weitere plagen sich durch eine 60-Stunden-Woche. Was sind die aber auch alle blauäugig. Na, immerhin haben es auch einige geschafft. Die werden groß herausgebracht mit ihren schönen Villen mit Swimmingpool und Goldregen in der richtigen Marktlücke. Aber die sprachen bestimmt auch schon vor ihrer Auswanderung englisch oder thai oder spanisch oder was auch immer und haben sich vorher schlau gemacht.

Schweißgebadet und erschöpft von Krankheit und Glotze liege ich den Kissen. Durch meinen Fieberwahn ziehen schimpfende Leute, heulende Kinder, Ruinen und Feuersbrünste, ich sehe mich als Bettler auf Mallorca und als ausgehungerter Kuli in Südostasien. Am Ende erwache ich von meinem eigenen Gejammer. In der Hoffnung, den wirren Traumbildern zu entkommen, wende ich mich erschöpft wieder dem Fernseher zu.

Dort reden gerade verschiedene Männlein und Weiblein, die im Kreise um einen Moderator sitzen, vor einem Publikum, das interessiert in die Kamera blickt, aufeinander ein. Um was geht es da? Ach ja, um Finanzberater. Prima, ich hab auch einen. Der Kerl hat was drauf, sucht mir immer Topanlagen raus. Wie? Was? Die sind alle Betrüger? Mir schwirrt der Kopf. Einer nach dem anderen der Teilnehmer legen Beweise für die Unredlichkeit meines Finanzberaters vor. Aus dem Publikum kommen Meldungen mit schlagkräftigen Beispielen. Oh weh, und ich liege krank im Bett. Wie schaffe ich es, trotzdem morgen zur Bank zu eilen und dem Mann auf die Finger zu klopfen? Kein Wunder, dass die Folge wieder ein Albtraum ist. So ein Tag vor dem Fernseher hat es aber auch in sich.

Nachdem ich mich in weiteren Panikträumen in den Kissen gewälzt habe, läuft ein deutscher Krimi. Ich atme durch. Da weiß doch, was man hat. Das sind menschliche Kommissare, wie sie leiben und leben, die Verbrecher könnten unsere harmlosen Nachbarn sein und die Leichen sehen richtig tot aus. Leider schlafe ich dann endgültig ein.

Als ich weit nach Mitternacht erwache, läuft irgendein Actionschinken, den ich schon früher mal gesehen habe und der entsetzlich laut ist. Davon bin ich wohl wach geworden. Ich werde mir jetzt noch die Nacht lang das Fernsehen reinziehen. Morgen früh nehme ich dann eine Schlaftablette und verschlafe den Tag. Scheiß was auf den Finanzberater. Vielleicht ist meiner ja eine Ausnahme. Man muss doch auch nicht alles glauben, was die da bringen. Morgen schenke ich mir all die Geburten, die Umzüge, Talkshows, Seelen- und Lebensrettungen, die Kochrezepte und Katastrophen. Vielleicht kommt dann irgendwann in der Nacht noch so ein alter Schinken, bei dem Welt noch in Ordnung ist.

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